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Lückenhafte Digitalisierung Böckler Impuls

Verwaltung: Lückenhafte Digitalisierung

Ausgabe 14/2024

In der öffentlichen Verwaltung hakt es in mancherlei Hinsicht bei der Digitalisierung. Leidtragende sind unter anderem die dort Beschäftigten.

Server statt Aktenschränke: Auch Behörden und Ämter in Deutschland setzen zunehmend auf digitale Technologie. Wie weit diese Entwicklung gediehen ist und wie sie sich auf die Effizienz der Verwaltung und die Arbeitsbedingungen auswirkt, haben Philipp Gräfe und Jörg Bogumil von der Ruhr-Universität Bochum sowie Liz Marla Wehmeier und Sabine Kuhlmann von der Universität Potsdam untersucht. Der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie zufolge gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Behörden. Selbst in fortgeschrittenen Bereichen sei der Digitalisierungsstand „ausbaufähig und problembehaftet“. Die Vorteile innovativer Technologien kämen oft nur eingeschränkt im Arbeitsalltag der Beschäftigten an – was teilweise zu erheblichem Unmut in der Belegschaft führt. 

Bei ihrer Untersuchung haben sich die Forschenden auf bürgernahe und „vergleichsweise fortgeschrittene“ Verwaltungsbereiche konzentriert: Kfz-Zulassung, Baugenehmigung, Finanzämter und Elternleistungen rund um die Geburt. Im Rahmen von Fallstudien wurden 79 Expertinnen und Experten unter anderem aus Amtsleitungen, Personalräten, der Sachbearbeitung und Ministerien interviewt sowie Dokumente und Literatur ausgewertet. Zusätzlich fand eine Online-Befragung statt, an der über 1700 Beschäftigte aus der öffentlichen Verwaltung teilgenommen haben.

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Ein Vorreiter ist laut der Studie die Steuerverwaltung: Alle Finanzämter bieten die elektronische Einkommenssteuererklärung „Elster“ an, die bereits 1999 eingeführt und allein 2021 etwa 32 Millionen Mal genutzt wurde. Die internetbasierte Kfz-Zulassung ist mittlerweile bei 83 Prozent der zuständigen Behörden etabliert, 2021 wurden hier allerdings nur 0,6 Prozent der Vorgänge online abgewickelt. Baugenehmigungsbehörden bieten zu 42 Prozent digitale Bauanträge an, deren „digitale Reife“ variiert. Für Elternleistungen wie die Geburtsanzeige oder die Beantragung von Kinder- und Elterngeld stehen getrennte digitale Antragsassistenten bereit. In Bremen und Hamburg wurden in Pilotprojekten „digitale Kombianträge“ eingeführt, die Verwaltungsleistungen bündeln, bislang aber nur selten genutzt werden. 

Als ein Problem machen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, dass viele Behörden die interne Digitalisierung vernachlässigen. Die E-Akte etwa werde zwar von nahezu allen Finanzämtern genutzt, aber nur von 70 Prozent der Kfz-Zulassungsbehörden und 60 Prozent der Bauaufsichtsbehörden. Zudem werde oft parallel noch mit Papierakten gearbeitet, was doppelten Aufwand verursacht. Wegen der unvollständigen Digitalisierung komme es zu „Medienbrüchen“, die dazu führen, dass beispielsweise Anträge in PDF-Form von Hand neu abgetippt werden müssen.

Eigentlich solle die Digitalisierung das Personal in der Verwaltung entlasten, heißt es in der Studie. Tatsächlich herrsche dort aber „große Unzufriedenheit“. Den Stand der Digitalisierung bewerten Beschäftigte in der Kfz-Zulassung im Schnitt mit der Schulnote 3, in der Bauaufsicht mit einer 4, in den Finanzämtern sogar nur mit einer 5. Ein wichtiger Grund dafür sind häufige Softwareausfälle und Technikfehler, die in der Finanzverwaltung 94 Prozent als Belastung empfinden, in der Kfz-Zulassung 64 Prozent, in der Bauaufsicht 54 Prozent. In allen Bereichen geben mindestens neun Zehntel der Befragten an, dass das Mailaufkommen zugenommen hat. Insbesondere in den Finanzämtern stellen Arbeitsverdichtung und zum Teil zunehmende Komplexität der Aufgaben ein Problem dar.

Was Effizienzsteigerungen durch digitale Lösungen angeht, zeige die Analyse ein ambivalentes Bild, schreiben Gräfe, Wehmeier, Bogumil und Kuhlmann. Zwar seien in allen Bereichen Vorteile durch verbesserte Fallbearbeitung, den Wegfall von Postwegen und automatisierten Datenaustausch zu beobachten. Dem stünden aber Mehrarbeit durch parallele analoge und digitale Prozesse und neu hinzugekommene Aufgaben wie Scannen oder Softwareadministration entgegen. Zugleich gebe es keine Hinweise darauf, dass die Digitalisierung zu weniger Rechtsstreitigkeiten oder abnehmender Fehleranfälligkeit geführt hat.

Eine erfolgreiche Digitalisierung sei nicht nebenbei von den vorhandenen Beschäftigten zu stemmen, sondern mache zusätzliches spezialisiertes Personal erforderlich, erklären die Forschenden. Oft finde aber das Gegenteil statt: Der Personalstock bleibe gleich oder sinke sogar, weil Beschäftigte in Rente gehen und nicht ersetzt werden. Die Digitalisierung werde als entlastender Faktor von Politik und Führungskräften „eingepreist“, obwohl die „digitale Reife“ bislang nur teilweise bei den Sachbearbeitenden angekommen ist. Damit sich die Situation verbessert, gelte es, Technikprobleme zu beseitigen, die Umstellung auf die E-Akte zu beschleunigen sowie das Personal angemessen zu informieren und zu schulen.

Philipp Gräfe u. a.: Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 364, Juli 2024; Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 2024

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