Quelle: HBS
Böckler ImpulsWeltwirtschaft: Leitwährung US-Dollar: Mit der Doppelrolle überfordert
Viele globale Wirtschaftskrisen gehen auf Defizite der internationalen Währungsordnung zurück. Eine neue Weltwährung könnte Abhilfe schaffen.
Die Weltwährungsordnung leidet an einem Konstruktionsfehler: Der US-Dollar ist zugleich Weltwährung und nationale Währung der Vereinigten Staaten. Damit sind Interessenkonflikte programmiert. So entschieden sich in der Vergangenheit die USA oft für eine Geldpolitik, die dem eigenen Land nützte, der globalen Wirtschaft insgesamt aber schadete. Zu diesem Ergebnis kommt der Ökonom Stephan Schulmeister vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). "Alle bedeutenden Turbulenzen in der Weltwirtschaft sind direkt mit der Doppelrolle des Dollar verknüpft", fasst der Ökonom seine Analyse der Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte zusammen. Er plädiert daher - ebenso wie die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) sowie die von der UNO eingesetzte Stiglitz-Kommission - für die Einführung einer neuen Weltwährung. Sie könnte sich neben dem Dollar auf Euro, chinesischen Renminbi und japanischen Yen stützen.
Einige prominente Beispiele für die Schieflagen, in die die Weltwirtschaft seit Anfang der 1970er-Jahre infolge der US-Dollarpolitik geriet:
Die Ölpreisschocks. Das nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte Wechselkurssystem von Bretton Woods verpflichtete die Teilnehmerländer, die Wechselkurse ihrer Währungen zum Dollar stabil zu halten. Gleichzeitig waren die USA verpflichtet, jederzeit Dollars zu einem festgesetzten Kurs in Gold zu tauschen. In den 1960er-Jahren brachten die von steigender Inflation und den hohen Kosten des Vietnamkriegs belasteten USA immer mehr Dollars in Umlauf. Das Vertrauen in die Stabilität der Weltwährung sank. Um ihre eigene, in einer Rezession steckende Wirtschaft zu fördern, sagten sich die USA 1971 von der Verpflichtung los, Dollar in Gold umzutauschen. In der Folge verlor der Dollar gemessen an Währungen wie Pfund, Franc oder D-Mark von 1971 bis 1973 ein Viertel seines Wertes.
Am stärksten traf die Dollar-Entwertung die Erdöl exportierenden Länder (OPEC), da Öl wie die meisten Rohstoffe in der Weltwährung Dollar gehandelt wird. Die OPEC-Staaten versuchten nun, den Wertverlust ihrer Einnahmen auszugleichen. So gelang es ihnen während des Jom-Kippur-Krieges 1973, eine massive Erhöhung des Ölpreises durchzusetzen, schreibt Schulmeister. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre wiederholte sich dieses Muster: Der Dollar verlor weitere 25 Prozent an Wert. Und im Zuge des Iran-Irak-Konflikts leitete die OPEC den zweiten "Ölpreisschock" ein. In den Industrieländern stiegen Inflation und Arbeitslosigkeit.
Die Schuldenkrisen der Entwicklungs- und Schwellenländer. In den 1970er-Jahren fiel der Kurs der US-Währung immer weiter und ermöglichte es vielen Entwicklungsländern, sich massiv in Dollar zu verschulden. Schließlich war die reale Belastung niedrig, da mit dem Dollar auch in dieser Währung gehaltene Schulden massiv abgewertet wurden. 1980 begannen die USA jedoch, die Inflation mit extrem hohen Leitzinsen zu bekämpfen, was zu massiven Dollaraufwertungen führte. Nun wurden auch die Schulden der Entwicklungsländer aufgewertet, die Realzinsen stiegen drastisch und 1982 brach die internationale Schuldenkrise aus. Ebenfalls als Folge einer Dollaraufwertung kam es Schulmeister zufolge 15 Jahre später zur Schuldenkrise der ostasiatischen Tigerstaaten, die sich anschließend auf Russland, Brasilien und Argentinien ausbreitete.
Der Wirtschaftsforscher stellt fest: Viele Krisen, die meist so genannten exogenen Schocks zugeschrieben werden, also "außerökonomischen" Einflüssen, sind in Wirklichkeit systembedingt. "Genauer gesagt", so Schulmeister, "durch die Verteilungs- und Bewertungseffekte der Schwankungen von Zinssatz und Wechselkurs des Dollar in seiner Doppelrolle als nationale Währung der USA und als Weltwährung". Diese Schwankungen würden einerseits durch die wechselhafte Wirtschaftspolitik der USA und anderseits durch die mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen möglich gewordene Devisenspekulation hervorgerufen.
Der "fundamentale Konstruktionsfehler" des Weltwährungssystems hat auch zur aktuellen Wirtschaftskrise beigetragen, sagt der Forscher. Da der Dollar die globale Leitwährung darstellt, sind die USA als einziges Land in der Lage, ihre enormen Leistungsbilanzdefizite durch Verschuldung in eigener Währung zu finanzieren: Jeder einzelne Exporteur in anderen Ländern akzeptiert die Bezahlung in Dollar. Außerhalb der USA sammeln sich so immer mehr Dollars an - die aber nicht genutzt werden, um US-Produkte zu kaufen, sondern in den USA angelegt werden. In Staatsanleihen - oder auch riskanteren Wertpapieren.
Das Dilemma der Exportstars. Wenn das Leitwährungsland die Welt mit seiner eigenen Währung überschwemmt, droht ihm lediglich eine Abwertung seiner Währung, erklärt Schulmeister. Doch auch dies kann im Sinne des Leitwährungslandes sein: Ein sinkender Wechselkurs verbessert die Absatzchancen seiner Exportindustrie und entwertet die Forderungen, die sich die "fleißigen Gläubigerländer" gegenüber dem Leitwährungsland erarbeitet haben, so der Wirtschaftsexperte. Die Gläubiger der USA, vor allem China, Japan und Deutschland, stünden nun vor einem Dilemma: Sind sie nicht mehr bereit, weiter Dollars zu sammeln, fällt der Kurs der US-Währung weiter, die eigenen Produkte werden auf dem Weltmarkt teurer und Exportrückschläge bremsen das Wachstum. Machen sie aber weiter wie bisher, "dann wird die stetig steigende Auslandsverschuldung der USA letztlich eine umso stärkere Dollarabwertung nach sich ziehen".
Angesichts der vielfältigen Probleme mit der Doppelrolle des Dollar hält Schulmeister einen "grundlegenden Systemwechsel" für nötig. Eine globalisierte Wirtschaft brauche eine supranationale Leitwährung. Nur so könne der "unlösbare Grundkonflikt zwischen den national-ökonomischen Interessen des Leitwährungslandes und den global-ökonomischen Interessen der Weltwirtschaft als Gesamtsystem" gelöst werden. Ein solches Weltgeld könne aus den Währungen der USA, Eurolands, Chinas und Japans zusammengesetzt sein. Die Notenbanken hätten die Aufgabe, die Kurse dieser Währungen innerhalb enger Bandbreiten zu stabilisieren, wie es in der EU von 1986 bis 1992 geschah. Das Niveau der festgelegten Umtauschverhältnisse sollte sich an den Kaufkraftparitäten orientieren. Diese geben das "faire" Kursniveau wieder, bei dem keines der Länder einen Preisvorteil oder -nachteil im internationalen Handel hat. Entspricht der Wechselkurs der Kaufkraftparität, so ist ein repräsentativer Warenkorb von Gütern und Dienstleistungen aus den betrachteten Ländern annähernd gleich teuer.
Stephan Schulmeister: Globalisierung ohne supranationale Währung: Ein fataler Widerspruch (pdf), in: ifo-Schnelldienst, 16/2009