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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Leistungspolitik stresst Belegschaft

Ausgabe 19/2009

In Deutschlands Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren eine neue Leistungspolitik ausgebreitet - und mit ihr Zeitdruck und seelische Belastungen.

Hektik, Überlastung und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes - solche Stressmomente sind in Unternehmen inzwischen weiter verbreitet als körperliche Belastungen. Selbst in Firmen mit einem hohen Anteil gewerblich Beschäftigter machen den Belegschaften vor allem psychische Probleme zu schaffen, berichtet Elke Ahlers. Die Arbeitswissenschaftlerin hat eine WSI-PARGEMA-Befragung von über 1.700 Betriebsräten zu Gesundheitsproblemen am Arbeitsplatz und den Ursachen ausgewertet. Dauerhafter Arbeitsdruck sei nicht mehr nur eine Angelegenheit der Führungskräfte. Er habe inzwischen den Kern der Belegschaft erreicht und erfasse vor allem mittlere Angestellte mit Fachausbildung. So arbeiten in 84 Prozent der Betriebe manche Beschäftigte ständig unter hohem Zeit- und Leistungsdruck; in 43 Prozent gilt das sogar für große Teile der Belegschaft. Von starken körperlichen Belastungen berichtet dagegen nur jeder fünfte Arbeitnehmervertreter. Laut ihrer Studie erklärten 79 Prozent der Betriebsräte, dass die seelischen Belastungen in den vergangenen drei Jahren zugenommen haben.

Die neue Leistungspolitik. Die Antworten der Arbeitnehmervertreter geben auch Aufschlüsse über die Gründe für zunehmenden Stress. In den Unternehmen habe sich in den vergangenen Jahren eine neue Leistungspolitik etabliert, die das Entstehen von Arbeitsdruck und Stress erheblich fördere, erklärt Ahlers. Die Ergebnisse der Betriebsrätebefragung belegen erstmals, wie weit das Instrument der Zielvereinbarungen inzwischen in den Firmen verbreitet ist: In 39 Prozent der befragten Betriebe schließt der Arbeitgeber nicht nur mit einzelnen Führungskräften, sondern mit jedem Beschäftigten oder zumindest mit jedem mittleren Angestellten eine solche Vereinbarung ab. Die Beschäftigten werden auf Erfolgskriterien wie Kundenzufriedenheit oder Umsatz verpflichtet - und oft handelt es sich dabei um einseitige Vorgaben.

Wo Zielvereinbarungen gängig sind, da sprechen die Arbeitnehmervertreter deutlich häufiger von psychischen Belastungen. 79 Prozent berichten von Zeitdruck, 57 Prozent von besonders hohem Arbeitsvolumen, 37 Prozent von mangelnder Planbarkeit der Arbeit. All diese Werte liegen mindestens zehn Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller Betriebe. Außerdem arbeiten Beschäftigte mit Zielvereinbarungen besonders häufig übermäßig lange und unterlaufen Regeln zum Schutz der Gesundheit. Jeder vierte Beschäftigte mit Zielvereinbarung bleibt bei Krankheit nicht zu Hause.

In mehr als der Hälfte der Betriebe kommen zudem Instrumente wie intensives Controlling zum Einsatz oder werden so genannte Profitcenter geschaffen. Diese Veränderungen können dazu führen, dass in den Belegschaften ein individuelles Leistungsdenken die betriebliche Solidarität verdrängt, warnt die Studie. Ahlers nennt ein Beispiel: Fast jeder dritte Arbeitgeber klassifiziert seine Belegschaft nach der Leistungsfähigkeit und verwendet dafür Begriffe wie "High-Perfomer", "Low Performer" oder gar "Mindestleister". Solche Kategorien wirkten als Bedrohung und verstärken den Leistungsdruck.

Grenzen des Arbeitsschutzes. Die seelischen Lasten nehmen zu, doch es gibt kein ausreichendes Gegengewicht. Der Arbeitsschutz habe "hinsichtlich der psychischen Arbeitsbelastungen deutliche Umsetzungsdefizite", schreibt die Forscherin. Die Regeln zum betrieblichen Gesundheitsschutz verlieren in der Praxis an Bedeutung, die traditionellen Gegenmittel stoßen an ihre Grenzen. So müssen sich die Unternehmen seit 1996 mit den Arbeitsbedingungen befassen und so genannte Gefährdungsbeurteilungen erstellen - um herauszufinden, ob und wie der Arbeitsalltag der körperlichen und seelischen Gesundheit der Beschäftigten schaden kann. Doch nur 56 Prozent der Betriebe verfassen eine Gefährdungsbeurteilung. Und wo es geschieht, werden regelmäßig die psychischen Belastungen weggelassen. Für die seelische Beanspruchung wichtige Faktoren wie zu knappe Zeitvorgaben, ständig störende Unterbrechungen und schlechtes Führungsverhalten fallen dabei weg.  

  • Inzwischen machen den Beschäftigten am Arbeitsplatz vor allem seelische Belastungen zu schaffen. Sie haben in den vergangenen drei Jahren in deutlich mehr Unternehmen zugenommen als körperliche Lasten. Zur Grafik
  • Eine Übersicht, was den Beschäftigten zusetzt: Weit verbreitet sind Hektik und Leistungsdruck, seltener ein schlechtes Betriebsklima. Zur Grafik

Elke Ahlers: Arbeit und Gesundheit - aktuelle Daten aus den Betrieben in Zeiten stetiger Effizienzsteigerung und betrieblicher Umstrukturierung, erscheint demnächst in einem Abschlussband des Forschungsprojektes PARGEMA (Partizipatives Gesundheitsmanagement)

Das Forschungsprojekt

Die WSI-Betriebsrätebefragung

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