Quelle: HBS
Böckler ImpulsEuropa: Leiharbeit: Längst mehr als ein Lückenfüller
Immer mehr Menschen sind als Leiharbeiter beschäftigt. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
In den meisten Ländern wuchs der Umfang der Zeitarbeit zwischen 2004 und 2007 mit zweistelligen Raten. In Deutschland stieg die Beschäftigung im Leiharbeitssektor um über 50 Prozent. 2007 entsprach das von Zeitarbeitern geleistete Arbeitsvolumen über 600.000 Vollzeitstellen. Weil Zeitarbeitsfirmen auch Teilzeitkräfte beschäftigen, war die tatsächliche Kopfzahl der Leiharbeitnehmer noch höher. Das geht aus einer Zusammenstellung der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hervor.
Dabei ist der französische Leiharbeitssektor in etwa so groß wie der deutsche. Der britische kommt auf das Doppelte: Fast 1,2 Millionen "temporary agency workers" gab es 2007 in Großbritannien - wiederum in Vollzeitstellen gerechnet. In anderen EU-Ländern sind die absoluten Zahlen niedriger - die Wachstumsraten aber umso höher. So verzeichnete Polen eine Steigerung um gut 90 und Griechenland sogar um über 130 Prozent.
Der Leiharbeitssektor ist ein Wirtschaftszweig, der im Zentrum der Flexicurity-Debatte steht, heißt es in dem Bericht: Während Leiharbeit traditionell in erster Linie eingesetzt wurde, um vorübergehend ausgefallene Arbeitskräfte zu ersetzen, dient Leiharbeit heute auch dazu, dauerhaft Kosten zu senken und die Flexibilität zu erhöhen - besonders in Märkten mit gestiegenem Wettbewerbsdruck und unsicheren Absatzchancen.
In den meisten europäischen Ländern arbeiten vor allem Jüngere bei Leiharbeitsfirmen - und werden für Tätigkeiten eingesetzt, die keine besondere Ausbildung erfordern. Die Unternehmensstrukturen unterscheiden sich hingegen deutlich: Während in Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden große Konzerne dominieren, teilen sich in Großbritannien viele kleine Firmen den Markt.
Auch die Einsatzbranchen unterscheiden sich: In Österreich und Deutschland setzt vor allem die Industrie auf Leiharbeit. In Schweden beschäftigen Banken und Finanzdienstleister die meisten von Agenturen entliehenen Arbeitnehmer.
Ebenso unterschiedlich ist die Einsatzdauer: Französische Leiharbeiter haben im Durchschnitt nur ein knapp zweiwöchiges Gastspiel im Entleihbetrieb; in Großbritannien sind 18 Monate keine Seltenheit.
Leiharbeit ist überall reguliert - aber überall anders. In allen EU-Ländern, in denen es Leiharbeit gibt, existieren Regelungen, die Mindestbedingungen vorschreiben oder die Einsatzmöglichkeiten beschränken.
Die Analyse der verschiedenen Regelsysteme zeigt laut Eurofound: In den meisten Fällen sind es vor allem gesetzliche Vorschriften, die die Rahmenbedingungen bestimmen. Trotzdem spielen gerade in den alten EU-Ländern auch Übereinkünfte zwischen den Sozialpartnern eine wichtige Rolle.
Wie weit das Regulierungsspektrum in einzelnen Fragen reicht, macht das Beispiel Bezahlung deutlich: In vielen Ländern gilt die Regel gleiches Geld für gleiche Arbeit, zum Beispiel in Frankreich, Spanien und Italien. In Bulgarien, Irland oder Lettland besteht für Unternehmen hingegen keinerlei Verpflichtung, Leiharbeiter so zu bezahlen wie die Stammbelegschaft. In Deutschland, den Niederlanden und weiteren Ländern gilt das Equal-Pay-Prinzip zwar im Grundsatz, praktisch sind aber zahlreiche Ausnahmen zugelassen.
James Arrowsmith: Temporary agency work and collective bargaining in the EU (pdf), Eurofound 2008