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Kreative Streiks in Corona-Zeiten Böckler Impuls

Arbeitswelt: Kreative Streiks in Corona-Zeiten

Ausgabe 09/2022

Das Arbeitskampfgeschehen hat sich im zweiten Jahr der Corona-Pandemie normalisiert. Ziel ist in vielen Fällen der Abschluss eines Branchentarifvertrags.

Beschäftigte haben im Jahr 2021 wieder deutlich mehr gestreikt. Insgesamt gab es in Deutschland 221 Arbeitskämpfe – im sehr stark von der Corona-Pandemie geprägten Jahr davor waren es 157. Auch die Anzahl der Streikenden und das in Ausfalltagen gemessene Arbeitskampfvolumen haben deutlich zugenommen. So haben sich 917 000 Beschäftigte an Streiks beteiligt, es gab 590 000 arbeitskampfbedingte Ausfalltage. Im Jahr 2020 waren es lediglich 276 000 Streikbeteiligte und 342 000 Ausfalltage. Das zeigt die Arbeitskampfbilanz 2021 des WSI.

„Nachdem der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zunächst zu einer deutlichen Einschränkung von Arbeitskämpfen geführt hatte, hat sich im zweiten Pandemie-Jahr das Arbeitskampfgeschehen wieder normalisiert“, schreiben die WSI-Experten Thorsten Schulten, Heiner Dribbusch und Jim Frindert. „Im Vergleich der vergangenen 15 Jahre lag das Arbeitskampfvolumen 2021 im oberen Mittelfeld.“

Die umfangreichsten Streikaktionen fanden im Rahmen der Tarifrunden der Metall- und Elektroindustrie sowie während der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder, bei der Deutschen Bahn und im Einzelhandel statt. Am häufigsten waren jedoch auf einzelne Firmen begrenzte Auseinandersetzungen um Haustarife. Sie zielten oftmals darauf ab, Unternehmen zum Anschluss an bestehende Branchentarifverträge zu bewegen, nicht selten ging es aber auch darum, überhaupt eine Tarifbindung zu erreichen oder zu verhindern, dass die Arbeitgeberseite Tarifverträge einseitig aufkündigt. Nach wie vor versuchten viele Unternehmen, sich übergreifenden Regeln durch den Flächentarifvertrag zu entziehen, oder lehnten es grundsätzlich ab, überhaupt Tarifverträge zu verhandeln, schreiben die Wissenschaftler. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Arbeitskampf von Verdi beim Versandhändler Amazon, der 2022 in sein zehntes Jahr eintritt. Zwar hat Amazon unter dem Druck wiederholter Arbeitsniederlegungen nach und nach die Bezahlung seiner Beschäftigten verbessert, verweigert sich aber nach wie vor einem Tarifvertrag.

Die Organisatoren von Arbeitskämpfen hatten es 2021 weiterhin mit besonderen Herausforderungen zu tun: Sie mussten Auflagen des Infektionsschutzes berücksichtigen und umfangreiche Hygienekonzepte entwickeln. Gleichzeitig galt es, Beschäftigte einzubeziehen, deren Arbeit sich ins Homeoffice verlagert hatte. Dabei griffen die Gewerkschaften häufig auf innovative, kreative Formen des Arbeitskampfes zurück, zum Beispiel Digitalstreiks, Kundgebungen im Autokinoformat oder Autokorsos.

In der internationalen Streikstatistik liegt Deutschland weiterhin im unteren Mittelfeld. Nach Schätzung des WSI fielen hierzulande in den zehn Jahren zwischen 2011 und 2020, dem aktuellsten Jahr, für das internationale Vergleichsdaten vorliegen, aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen im Jahresdurchschnitt je 1000 Beschäftigte 18 Arbeitstage aus. In Belgien waren es im gleichen Zeitraum 97 und in Frankreichs Privatwirtschaft, deren Daten lediglich den Zeitraum 2011 bis 2019 umfassen, im Jahresdurchschnitt 93. Ebenfalls deutlich mehr Ausfalltage als die Bundesrepublik wiesen Kanada, Finnland, Spanien und Dänemark aus. Weniger als zehn Ausfalltage pro 1000 Beschäftigte zählten im Jahresdurchschnitt die USA und Ungarn, in Schweden und Österreich waren es zwei, einen Ausfalltag gab es im Schnitt in der Schweiz.

Jim Frindert, Heiner Dribbusch, Thorsten Schulten: WSI-Arbeitskampfbilanz 2021: Normalisierung des Arbeitskampfgeschehens im zweiten Jahr der Corona-Pandemie (pdf), WSI-Report Nr. 74, April 2022

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