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HBS Böckler Impuls

Rente: Konzepte gegen Altersarmut

Ausgabe 17/2009

Altersarmut droht in den kommenden Jahren zu einem weit verbreiteten Problem zu werden. Eine Studie zeigt, wie sie im Ausland eingedämmt wird - und welche Vorschläge für die Bundesrepublik vorliegen.

Derzeit sind in Deutschland vergleichsweise wenige Rentner arm. Nur etwa jeder vierzigste benötigte 2007 zusätzlich zum Ruhegeld Grundsicherung. Das wird jedoch voraussichtlich nicht mehr lange so bleiben. Schon seit 2003 nimmt die Zahl der älteren Menschen mit Hilfsbedarf zu, binnen vier Jahren ist sie von 258.000 auf 392.000 gestiegen. Dieser Trend dürfte sich verstärken, weil nun geburtenstärkere Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Hinzu kommen grundsätzliche Probleme: Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) sorgt nicht in jedem Fall für eine ausreichende Rente, Phasen von Arbeitslosigkeit, atypischer Beschäftigung oder Familienzeiten schmälern die Ansprüche der Beschäftigten. Auch die Rentenkürzungen durch die Reformen von 2001 und 2004 machen sich bemerkbar. "Selbst vollständige Berufsverläufe sind kein Garant mehr für hohe Renten", stellen Barbara Riedmüller und Michaela Willert von der FU Berlin fest.

Weil künftig vielen Älteren der Weg zum Sozialamt droht, wird über die Einführung einer Mindestsicherung in die gesetzliche Rente diskutiert. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich in ihren Wahlprogrammen mit dem Thema beschäftigt. Riedmüller und Willert beleuchten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung insgesamt 18 Vorschläge von Parteien, Verbänden und Forschern. Die Übersicht macht deutlich: Die Überlegungen vor allem der größeren Parteien beschränken sich auf die relativ kleine Gruppe derer, die bereits sehr lange in Vollzeit gearbeitet haben. Würden diese Modelle umgesetzt, ließe sich das Problem allenfalls eindämmen, aber kaum lösen. Mehr Erfolg versprechen Konzepte, die den Menschen ermöglichen, länger und mehr in die Rentenkasse einzuzahlen. Eine dritte Gruppe von Reformvorschlägen will Erwerbsarbeit und Rentenbezug entkoppeln; einen solchen Systemwechsel halten Riedmüller und Willert jedoch für wenig wahrscheinlich.

Bislang gibt es in Deutschland im Unterschied zur großen Mehrheit der OECD-Staaten keine Mindestsicherung im Rentensystem. "Das Scheitern einer allgemeinen Grundsicherung im Alter hat seine Ursache im Glauben der politischen Eliten an eine einfache Sozialversicherung, die auf Vollbeschäftigung beruht", so die Studie. Menschen über 65 mit knapper Rente und wenig Vermögen sind darum im Alter auf eine Form der Sozialhilfe angewiesen. Der Weg dahin wurde erleichtert: Hat ein Rentenbezieher weniger als 27 Entgeltpunkte erworben, wird dem Rentenbescheid ein Antrag auf Grundsicherung im Alter beigelegt. Ehe der Staat zahlt, überprüft er die Bedürftigkeit.

Die deutsche Debatte um Mindestsicherungselemente in der Rente lehnt sich stark an Vorbilder in anderen OECD-Ländern an. "Der internationale Vergleich zeigt, dass es ein breites Spektrum an Lösungsmöglichkeiten für die Absicherung sich wandelnder Erwerbsbiographien gibt", schreiben Riedmüller und Willert. Drei Grundelemente kommen in den westlichen Industrieländern in verschiedenen Kombinationen zum Einsatz:

  • die Grundrente, eine Basis-Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung, die für alle Versicherten gleich hoch ist. Sie wird separat von der einkommensbezogenen Rente organisiert und ausgezahlt. Andere Einkünfte werden nicht verrechnet. Dieses Modell gibt es in Norwegen, Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark.
  • die Mindestrente, also ein garantierter Sockel, der aus der allgemeinen Rentenkasse gezahlt wird. Diese Mindestzahlung gibt es in zwölf OECD-Ländern. Dazu zählen Frankreich, Schweden und die Schweiz.
  • eine bedarfsgeprüfte Leistung innerhalb des Rentensystems. Österreich hat eine derartige Grundsicherungs-Säule außerhalb der Sozialhilfe; die reguläre Rente wird mit angerechnet.

Von der Art der Mindestsicherung kann nicht auf das Niveau geschlossen werden. In der Schweiz etwa ist die Mindestrente niedriger als die Sozialhilfe - man braucht also zusätzlich durch Beiträge erworbene Ansprüche, um auf das Existenzminimum zu kommen.

Eine kleine Lösung für wenige. Wer ein Leben lang in Vollzeit gearbeitet hat, soll eine Rente oberhalb des Existenzminimums bekommen. Dieses Ziel hat die CDU in ihrem Wahlprogramm ausgegeben und auch im Koalitionsvertrag der neuen Regierung bekräftigt. Langjährig Beschäftigte sollen bedarfsgeprüfte Zahlungen aus dem Rentensystem erhalten. Riedmüller und Willert sehen diesen Ansatz kritisch: Er käme nur Geringverdienern mit einer fast lückenlosen Erwerbsbiografie zu Gute - das ärmste Fünftel der künftigen Rentner wird aber Hochrechnungen zufolge im Schnitt nur 18 Jahre sozialversicherungspflichtig in Vollzeit gearbeitet haben. Ausgeschlossen sind also ausgerechnet die Menschen mit dem höchsten Armutsrisiko,  die zumeist weiblichen Teilzeitkräfte gingen leer aus. "Derartige Beschränkungen von Rentenleistungen auf Vollzeit-Erwerbstätige sind im internationalen Vergleich nicht bekannt", so die Forscherinnen.

Vorbeugen im Erwerbssystem. Andere Vorschläge zielen darauf ab, nicht nur die abhängig Beschäftigten mit der gesetzlichen Rente abzusichern und dadurch mehr und längere Einzahlungen in die Rentenkasse zu ermöglichen. Die Berliner Wissenschaftlerinnen halten diesen Ansatz für besser geeignet, um Altersarmut zu verhindern. Die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD, die Deutsche Rentenversicherung, der DGB, Wahlprogramme von Grünen und Linkspartei - sie sprechen sich für eine Versicherungspflicht aller Erwerbstätigen aus. Selbstständige und je nach Konzept auch Beamte wären mit in der GRV versichert. Die Erwerbstätigenversicherung wird mit unterschiedlichen Elementen kombiniert. Die AfA etwa schlägt vor, dass ein gesetzlicher Mindestlohn für mehr Rentenbeiträge der Geringverdiener sorgen soll, außerdem könnten die Rentenbeiträge während des ALG-II-Bezugs angehoben werden. Diese Maßnahmen würden die Rentenansprüche von Geringverdienern und zeitweise Arbeitslosen stabilisieren. Die Linkspartei will zusätzlich die obere Beitragsbemessungsgrenze abschaffen und eine Höchstrente einführen.

Erwerbstätigkeit und Alterseinkommen entkoppeln. Die Grünen orientieren sich am Schweiz Vorbild und haben in ihrem Wahlprogramm einen Sockel von 420 Euro vorgeschlagen. Die Bundestags-Abgeordnete Katja Kipping von der Linkspartei hingegen hält sich relativ stark an das schwedische Modell; sie regt eine Mindestrente von 800 Euro an. Beide Vorschläge würden den Zusammenhang von Beiträgen und Rentenzahlungen lockern. Noch stärker als andere Parteien und Verbände will aber die FDP Erwerbsarbeit und Rentenbezug entkoppeln. Sie möchte ein bedürftigkeitsgeprüftes Bürgergeld in Höhe von 662 Euro im Monat einführen, das auch für ältere Menschen alle steuerfinanzierten Leistungen bündelt. Die Rentenpolitik der Liberalen läuft auf eine "bedürftigkeitsgeprüfte Grundrente" hinaus, erklären Riedmüller und Willert, denn zugleich solle die gesetzliche Rentenversicherung langfristig an Gewicht verlieren. Dass es zu einem solchen Systemwechsel in der deutschen Rentenpolitik kommt, halten die Wissenschaftlerinnen jedoch für unwahrscheinlich.

  • Schon ein Durchschnitts-Verdiener muss recht lange Rentenbeiträge zahlen, um nur auf das Niveau der Sozialhilfe kommen – für Geringverdiener ist selbst das inzwischen kaum noch möglich. Zur Grafik
  • Jüngere Beschäftigte zahlen im Schnitt nicht so lange in die Rentenkasse ein wie es früher üblich war – Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Familienarbeit unterbrechen häufiger ihre Erwerbsbiografie. Zur Grafik

Barbara Riedmüller, Michaela Willert: Aktuelle Vorschläge für eine Mindestsicherung im Alter (pdf), Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung 2009

weitere Studie der Forscherinnen (pdf) 
Seite an der FU Berlin

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