Quelle: HBS
Böckler ImpulsGesundheit: Kliniken: Weniger Pflege für mehr Patienten
In keinem anderen europäischen Land wurden in den vergangenen 15 Jahren so viele Krankenhäuser privatisiert wie in Deutschland.
Der Anteil der Krankenhausbetten in Kliniken privater Träger ist hierzulande fast so hoch wie in den USA. Er liegt bei rund 14 Prozent. Knapp die Hälfte der Klinikbetten steht in öffentlichen Krankenhäusern, die übrigen in den Spitälern so genannter freigemeinnütziger Träger. Das sind in erster Linie Kirchen und Wohlfahrtsverbände. Im internationalen Vergleich fällt auf, wie stark sich das Gewicht in der jüngsten Vergangenheit zugunsten privater Gesundheitskonzerne verschoben hat. Dies zeigt eine Analyse des WSI im Auftrag der Europäischen Kommission.
Infolge zahlreicher Privatisierungen hat sich der Anteil kommerzieller Krankenhäuser an allen Kliniken von 1991 bis 2006 von 15 auf über 27 Prozent nahezu verdoppelt. Dem Zuwachs bei den privaten stehen entsprechende Verluste auf Seiten der öffentlichen Kliniken gegenüber, während der Anteil freigemeinnütziger Träger in etwa konstant geblieben ist.
Das WSI rechnet damit, dass sich "die Privatisierungswelle in den nächsten Jahren weiter fortsetzen wird". Bald könnten 40 Prozent aller Krankenhäuser in privater Hand sein, so die Prognose der Wissenschaftler. Mehr als die Hälfte der verbliebenen öffentlichen Krankenhäuser haben bereits die Rechtsform gewechselt. Und die Umwandlung in Körperschaften privaten Rechts sei oft der erste Schritt zur vollständigen, "materiellen" Privatisierung, so die Studie. Zudem würden viele Teilbereiche an private Anbieter vergeben oder in Tochtergesellschaften ausgelagert, zum Beispiel Reinigung, Wäscherei, Küche oder Labore.
Als einen Grund für die Privatisierungsbestrebungen sieht das WSI die Umstellung des Finanzierungssystems in den 90er-Jahren: Heute bekommen die Krankenhäuser keine Tagesätze mehr von den Krankenkassen erstattet, sondern je nach Diagnose nur noch eine bestimmte Fallpauschale. Nach Prognosen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung wird 2008 ein Drittel aller Krankenhäuser rote Zahlen schreiben.
Ein weiterer Faktor, der Privatisierungen aus Sicht von Finanzministern und Kämmerern attraktiv macht: Den öffentlichen Krankenhäusern fehlen Investitionsmittel von mehr als 50 Milliarden Euro. Diese Zahl nennt die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Eine andere Studie kommt auf den doppelten Finanzbedarf. Mit Privatisierungen sei oft die Hoffnung verbunden, privates Kapital für die nötigen Investitionen zu mobilisieren, so das WSI.
Der Trend "zur Ökonomisierung des Krankenhauswesens" hat dem WSI zufolge erhebliche Konsequenzen für Beschäftigte und Patienten: Weil die Personalausgaben etwa 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, wird gerade hier gespart. Seit Anfang der 90er-Jahre ist die Beschäftigung in Krankenhäusern um gut neun Prozent zurückgegangen - obwohl die Patientenzahl gestiegen ist. Dass jede einzelne Pflegekraft immer mehr Patienten versorgen muss, sei besonders in privatisierten Häusern zu beobachten, so die Untersuchung. Dies spiegele sich auch in Patientenbefragungen wider: Wegen des ungünstigen Betreuungsschlüssels geben Patienten privaten Kliniken schlechte Noten.
Kritisch bewertet das WSI auch die Tarifpolitik privater Kliniken. In der Regel würden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes aufgekündigt und neue Haus- oder Konzernverträge abgeschlossen. Dabei strebten die Arbeitgeber oft eine größere Lohnspreizung an: Genauso viel oder mehr für die Ärzte - und weniger für die Pfleger.
Nils Böhlke und Thorsten Schulten: Aktualisierte Ergebnisse aus dem Projekt Privatisation of Public Services and the Impact on Quality, Employment and Productivity. Unter Privatisierungsdruck (pdf), in: Magazin Mitbestimmung 6/2008