Quelle: HBS
Böckler ImpulsWirtschaftspolitik: Klimawende in der Industrie beschleunigen
Um eine globale Klimakrise zu verhindern, müssen Unternehmen in neue Technologien investieren. Staatliche Unterstützung würde den Innovationsprozess beschleunigen. In Deutschland könnte das über einen kreditfinanzierten Transformationsfonds erfolgen.
Der deutsche Staat sollte sich an Unternehmen beteiligen, die ein klimafreundliches Wirtschaften voranbringen. Finanzieren ließe sich das über einen staatlichen Beteiligungsfonds mit einem Volumen von zunächst 120 Milliarden Euro. Mit dem sogenannten Transformationsfonds lassen sich drei Ziele verfolgen: Erstens soll er die deutsche Industrie dabei unterstützen, die Klimaziele für 2030 und 2050 zu erfüllen. Zweitens gilt es, innovative und wettbewerbsfähige Unternehmen mit attraktiver, gut bezahlter Beschäftigung zu sichern und gegebenenfalls problematischen Übernahmen aus dem außereuropäischen Ausland vorzubeugen. Drittens werden durch die Beteiligung an Unternehmen mit Zukunftstechnologien Vermögenswerte für die öffentliche Hand geschaffen. So argumentieren Sebastian Dullien, Katja Rietzler und Silke Tober vom IMK in einer aktuellen Studie.
In Kooperation mit der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE haben die Ökonominnen untersucht, wie sich der klimagerechte Umbau der deutschen Wirtschaft beschleunigen ließe. Die Ausgangssituation beschreiben sie so: Um die Bundesrepublik wie angestrebt bis 2050 treibhausgasneutral zu machen, sind staatliche und private Investitionen von jährlich knapp 50 Milliarden Euro notwendig. Zwar leisten die EU mit Green Deal und Aufbaufonds sowie die Bundesregierung mit dem Klimapaket spürbare Beiträge. „Es steht allerdings bereits jetzt fest, dass die öffentlichen und privaten Investitionsanstrengungen merklich intensiviert werden müssen“, schreiben die Forscherinnen. „Erhebliche Anstrengungen sind zudem erforderlich, um bei wichtigen Zukunftstechnologien eine führende Rolle zu spielen. Daher sollte die Notwendigkeit der sozialökologischen Transformation auch als Chance für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesehen werden.“
Umfassende Erneuerung der Industrie
Als besondere Stärke eines Transformationsfonds sehen Dullien, Rietzler und Tober die Möglichkeit, Engpässe rasch und gezielt zu überwinden. Das gilt zum Beispiel für Investitionen in Schlüsselbereichen, die einzelne Unternehmen überfordern könnten. Gefördert werden könnten etablierte Industriebetriebe, die frühzeitig in klimaneutrale Techniken investieren, beispielsweise grünen Wasserstoff, aber auch Startups, die vielversprechende Geschäftsideen zur Reduktion von Treibhausgasen verfolgen. „Bei der staatlichen Förderung geht es weniger um gesamtwirtschaftlich exorbitante Summen als um ein schnelles, entschlossenes Handeln“, so das IMK. Zudem unterstreiche die Regierung mit ihrer Unterstützung, dass sie es mit der Klimawende ernst meint. Schließlich würde der Staat bei einer Abkehr vom Dekarbonisierungskurs selbst Verluste durch dann unrentable Beteiligungen erleiden. Das biete zusätzliche Anreize für private Investoren, auf aktuell noch teure Innovationen zu setzen.
Besonderen Bedarf sieht das IMK in der Industrie. Nach einer deutlichen Verringerung der Treibhausgasemissionen in den 1990er- und 2000er-Jahren habe es in diesem für die deutsche Volkswirtschaft zentralen Sektor seit 2010 „faktisch keine Fortschritte mehr gegeben“. Das liege zum Teil daran, dass vorhandene Technologien weitgehend ausgereizt seien. Vor allem in Branchen wie Stahlindustrie, Grundstoffchemie oder Zementproduktion, die für knapp 60 Prozent der Emissionen in der Industrie stehen, seien durchgreifende Verbesserungen nur machbar, wenn bei der Produktion grundlegend auf neue Verfahren umgestellt werde.
Zwar steht nach der IMK-Analyse in diesen und vielen weiteren Branchen unabhängig von der Klimawende eine umfassende Erneuerung der Anlagen an, die Gelegenheit für einen energetischen Strukturwandel der Industrie wäre also grundsätzlich günstig. Doch es gibt ein Dilemma: Klimafreundliche Technologien wie grüner Wasserstoff sind zwar verfügbar, sie sind aber noch nicht voll ausgereift, und vor allem sind sie noch teurer als herkömmliche Energieträger. Daran ändert auch das aktuelle Emissionshandelssystem nichts, weil die Preise für CO₂-Zertifikate in der EU die Differenz bei weitem nicht ausgleichen und nicht in allen Handelspartnerländern Abgaben auf klimaschädliche Emissionen existieren. Andererseits haben viele Produktionsanlagen, die in nächster Zeit erneuert werden müssen, eine Lebensdauer von rund 50 Jahren. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Klimaneutralität 2050 sollten daher „schon jetzt grundsätzlich keine größeren Investitionen mehr in konventionelle Technologien getätigt werden, mit der Ausnahme von Brückentechnologien“, schreiben Dullien, Rietzler und Tober. Sonst würden entweder die Klimaziele verfehlt oder vergleichsweise neue Anlagen müssten künftig vorzeitig abgeschaltet werden, mit beträchtlichem wirtschaftlichem Schaden.
Gut für Arbeitsplätze in Deutschland
Wenn Unternehmen mit staatlicher Unterstützung möglichst bald einen Umstieg auf Zukunftstechnologien wagen, könnten daraus „große Chancen für den Industriestandort entstehen, darunter der Erhalt qualifizierter Arbeitsplätze, die Technologieführerschaft und eine schnellere Verbreitung von Technologien auch außerhalb Deutschlands“, argumentieren die Wissenschaftler. Bei Beteiligungsentscheidungen könne sich der Transformationsfonds auf die existierenden Nachhaltigkeitsregeln der EU stützen. Er müsse profitorientiert handeln, solle aber im Auge haben, dass unterstützte Unternehmen keine Steuerflucht begehen sowie Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte beachten. Die Kompetenz, eine funktionierende Struktur für den Fonds aufzubauen, sehen die Fachleute des IMK bei den Bundesministerien für Umweltschutz, Finanzen und Wirtschaft, der Bundesbank und der staatlichen Förderbank KfW. Sie empfehlen außerdem, Experten aus Wissenschaft, Umweltverbänden und Gewerkschaften einzubinden.
Der Fonds sollte nach dem IMK-Konzept als Sondervermögen des Bundes eingerichtet werden. Das anfängliche Volumen von 120 Milliarden Euro entspräche lediglich 3,5 Prozent des Bruttoninlandsprodukts. Es könnte jenseits der engen Grenzen der Schuldenbremse über Kredite finanziert werden, weil es sich bei Unternehmensbeteiligungen um finanzielle Transaktionen handelt, die nicht der Schuldenbremse unterliegen. Zudem erwarten Dullien, Rietzler und Tober, dass der Fonds bei der Erstausgabe von Anleihen von der aktuellen Niedrig- oder gar Negativzinsphase für deutsche Staatspapiere profitieren könnte. Schließlich legten Investoren für die neue „grüne“ Bundesanleihe mit zehnjähriger Laufzeit ebenso wie für Bundesanleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren zuletzt sogar Geld drauf.
Sebastian Dullien, Katja Rietzler, Silke Tober: Ein Transformationsfonds für Deutschland (pdf), IMK-Study Nr. 71, Januar 2021