Quelle: HBS
Böckler ImpulsEinkommen: Kapitaleinkommen wachsen weiter, Tarife bremsen reale Lohnverluste
Die Gewinn- und Vermögenseinkommen haben die Löhne zwischen 2000 und 2011 deutlich hinter sich gelassen. Die Arbeitseinkommen liegen real weiterhin unter dem Niveau der Jahrtausendwende.
Real, also nach Abzug der Preissteigerung, sind die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigtem in Deutschland zwischen dem Jahr 2000 und Ende 2011 um rund 2,9 Prozent zurückgegangen. Das ergeben die neuen Daten des WSI-Tarifarchivs zur Reallohnentwicklung. Die vergangenen beiden Jahre, in denen die Reallöhne um ein und 1,1 Prozent stiegen, haben die erheblichen Verluste, die von 2004 bis 2009 aufgelaufen waren, nicht ausgleichen können. Schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Deregulierung am Arbeitsmarkt hatten dazu beigetragen, dass sich die Arbeitseinkommen in den Nullerjahren schwach entwickelten. So verstärkten die Hartz-Reformen den Druck auf die Verdienste. Der Niedriglohnsektor wuchs. Immerhin ist der Rückstand zuletzt etwas kleiner geworden, zeigt der Vergleich mit 2010. Da lagen die realen Bruttolöhne sogar um vier Prozent niedriger als 2000.
Stärker haben sich seit der Jahrtausendwende die tariflichen Löhne und Gehälter entwickelt. Sie lagen nach den Berechnungen des Tarifarchivs 2011 real um 6,1 Prozent höher als 2000. In den meisten Jahren dieses Zeitraums beobachteten die WSI-Experten eine spürbare negative Lohndrift. Das heißt: Die Bruttoeinkommen blieben hinter den Tarifeinkommen zurück. Erst 2010 und 2011 drehte sich der Trend wieder. Im Rückblick über die vergangenen Jahrzehnte sei eine negative Lohndrift ein untypischer Zustand, erklärt Reinhard Bispinck, der Leiter des Tarifarchivs: „Das zeigt, dass das Tarifsystem in der vergangenen Dekade mehr denn je das Rückgrat der Lohnentwicklung in Deutschland war.“ Die Entwicklung der Tariflöhne habe verhindert, dass die Arbeitseinkommen insgesamt noch weiter hinter der Inflation zurückblieben. Allerdings nahm die Prägekraft des Tarifsystems im gleichen Zeitraum ab, vor allem, weil die Tarifbindung sank und Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten tarifliche Öffnungsklauseln nutzten. Daher schlugen Steigerungen bei den Tarifeinkommen nur zum Teil auf die Bruttoverdienste durch.
Während sich die Arbeitseinkommen somit nur langsam stabilisieren, haben die Einkommen aus Vermögen und Unternehmensgewinnen seit der Jahrtausendwende stark zugelegt, zeigen die WSI-Daten: Zwischen 2000 und 2011 stiegen sie nominal um knapp 50 Prozent, trotz eines zwischenzeitlichen Einbruchs in der Wirtschaftskrise 2009. Die nominalen Arbeitnehmerentgelte wuchsen im gleichen Zeitraum dagegen nur um knapp 19 Prozent.
Zuwächse bei den Einkommen seien die eine Seite der Tarifpolitik, analysiert Tarifexperte Bispinck. Auf der anderen Seite hätten beispielsweise die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren immer wieder qualitative Ziele verfolgt. Dazu zählten unter anderem Verbesserungen bei der Aus- und Weiterbildung oder Regelungen, die die betriebliche Altersvorsorge sichern. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise sei es zudem gelungen, wirksame Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung zu vereinbaren. Auch in der aktuellen Tarifrunde spielten qualitative Ziele eine Rolle, zeigt der Wissenschaftler. In der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst zum Beispiel werde über die unbefristete Übernahme der Ausgebildeten verhandelt, zudem möchte die IG Metall eine Begrenzung und mehr Mitbestimmung bei der Leiharbeit erreichen. In der Chemieindustrie stehen Regelungen zur Gestaltung der Lebensarbeitszeit auf dem Verhandlungsplan, im Bankgewerbe geht es auch um den Schutz der Beschäftigten vor Gesundheitsbelastungen.
WSI-Tarifarchiv: Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2012.