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HBS Böckler Impuls

Europa: Kampf für Entgeltgleichheit: In Brüssel kaum ein Thema

Ausgabe 05/2015

Gleichstellung gilt als ein wichtiges Politikfeld der EU. Beim Thema Gender Pay Gap fällt die Bilanz allerdings dürftig aus.

Zu den Werten, denen sich die EU verschrieben hat, gehört laut dem Vertrag von Lissabon auch die Gleichheit von Frauen und Männern. Der Weg dahin ist noch weit – zumindest, was die Bezahlung angeht: Laut EU-Kommission verdienen Europäerinnen im Schnitt nach wie vor 16 Prozent weniger als Europäer. Wenn die Angleichung im bisherigen Tempo weitergehe, so die Prognose, werde es bis zur vollständigen Schließung der Lohnlücke noch 70 Jahre dauern. Was die EU bis dato unternommen hat, um diesen Prozess zu  beschleunigen, haben Mark Smith von der Grenoble École de Management und Paola Villa von der Universität Trient rekonstruiert. Ihrer Analyse zufolge stellt das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern einen „blinden Fleck“ der EU-Gleichstellungspolitik dar. Die Wirtschaftskrise habe Fortschritte zusätzlich erschwert.

Eine Koordinierung der Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene finde seit 1997 im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie statt, schreiben Smith und Villa. Obwohl die EU auf „Soft-Law-Mechanismen“ wie unverbindliche Leitlinien, Berichte der Mitgliedsstaaten und länderspezifische Empfehlungen setze, habe sie großen Einfluss auf die nationale Politik ausgeübt – auch im Bereich Gleichstellung. Um das „ultimative Ziel“ eines möglichst hohen Beschäftigungsniveaus zu erreichen, sei es dabei in erster Linie um mehr Frauenerwerbstätigkeit gegangen. Die meisten entsprechenden Empfehlungen und Initiativen hätten auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch flexible Arbeitszeit, Teilzeit oder Kinderbetreuungsangebote abgezielt. Das Lohngefälle sei dagegen allenfalls nachrangig oder gar nicht thematisiert worden, kritisieren die Wirtschaftswissenschaftler. „Kurz gesagt hat der verfolgte angebotsorientierte Ansatz zu Politikempfehlungen geführt, die sich wesentlich mehr um die Beseitigung von Hindernissen für Frauen beim Zugang in den Arbeitsmarkt als um die Beseitigung von Hindernissen zur Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt drehen.“

Darüber hinaus hat der Studie zufolge das Engagement der EU im Laufe der Zeit nachgelassen. Während sich in frühen Phasen noch direkte Verweise auf den Gender Pay Gap finden, sei dieses Problem mittlerweile fast vollständig aus den maßgeblichen Leitlinien verschwunden und in eher randständige Initiativen „abgeschoben“ worden, die wenig „Biss“ hätten. Der fehlende Elan habe sich auch auf die Politik der Mitgliedsstaaten übertragen: Die Brüsseler Passivität ermögliche es insbesondere denjenigen nationalen Regierungen, die Gleichstellungsfragen ohnehin weniger zugeneigt waren, die Geschlechterdimension bei der Politikgestaltung zu ignorieren. Finnland sei das einzige Land, das sich in den vergangenen Jahren mit einem umfassenden Politikansatz zur Gleichstellung hervorgetan hat.

Nach Einschätzung der Autoren dürften auch die ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Angesichts der Krise sei es wesentlich schwieriger geworden, Gleichstellung als politische Priorität zu verankern. Dass das Ziel der Entgeltgleichheit ein frühes Opfer der ökonomischen Verwerfungen war, bestätige auch die Statistik: In der Vorkrisenzeit sei EU-weit ein leichter Rückgang des Lohngefälles zu beobachten gewesen, ab 2010 wieder ein Anstieg. Dass der Gender Pay Gap in einigen Ländern wie Belgien, Litauen oder der Slowakei im Abschwung kleiner geworden ist, hänge vor allem mit Einschnitten bei variablen Lohnbestandteilen wie Zuschlägen oder Boni zusammen, von denen typischerweise Männer profitieren. Andererseits seien Frauen stärker von Kürzungen im öffentlichen Dienst und der Zunahme atypischer Jobs betroffen. Auch Druck auf die Mindestlöhne in Krisenstaaten dürfte kontraproduktiv sein, warnen Smith und Villa. Da Arbeitnehmerinnen in schlecht bezahlten Berufen überproportional vertreten sind, seien angemessene Lohnuntergrenzen ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung der Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern.

  • Europäerinnen verdienen im Schnitt 16 Prozent weniger als Europäer. Zur Grafik

Mark Smith, Paola Villa: EU-Strategien zur Geschlechter- und Lohngleichstellung und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, in: WSI-Mitteilungen 1/2015

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