zurück
HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Jobzuwächse: An Hartz-Reformen lag's nicht

Ausgabe 18/2010

Die Arbeitsmarktreformen des vergangenen Jahrzehnts haben keine neuen Jobs geschaffen. Besser haben sich Wachstum und Beschäftigung in Frankreich entwickelt - ohne Deregulierung des Arbeitsmarktes.

Die deutschen Arbeitsmarktreformen sollten mehr Menschen in Arbeit bringen - über stärkeren Druck auf Arbeitslose und einen größeren Niedriglohnsektor. Ob das funktioniert hat, haben die IMK-Forscher Simon Sturn und Till van Treeck untersucht. Sie verglichen dazu Beschäftigung und Arbeitsvolumen des Aufschwungs der Jahre 2005 bis 2008 mit der vorherigen Boomphase von 1999 bis 2001. Ihr Ergebnis: Die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Ausweitung der Leiharbeit und die anderen Hartz-Reformen hatten keinen positiven Einfluss auf die Beschäftigungsentwicklung. Auch im europäischen Vergleich steht Deutschland nicht besser da.

Der jüngste Aufschwung zog sich über drei Jahre hin, der vorherige dauerte nicht ganz zwei Jahre. Obwohl die Wirtschaft also über einen längeren Zeitraum wuchs, stieg die Erwerbstätigkeit im jüngsten Boom lediglich um 3,6 Prozent - und damit kaum kräftiger als im vorherigen. Seinerzeit lag der Zuwachs bei 2,8 Prozent. Relativ gesehen - also im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum - entstanden im Aufschwung vor den Arbeitsmarktreformen sogar mehr Jobs als danach. Im ersten Boom betrug die Relation 0,5, im zweiten 0,43.

Frankreich reformierte in jüngerer Zeit ebenfalls seinen Arbeitsmarkt. Allerdings setzten Deutschlands Nachbarn hauptsächlich auf eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit: die 35-Stunden-Woche. Diese wurde in den 1990er-Jahren schrittweise eingeführt. Begleitend bauten die Franzosen die Kombilohnregelung aus; Sozialversicherungsbeiträge für Niedrigeinkommen werden seitdem subventioniert. Die Reformen bescherten Frankreich im Aufschwung der Jahre 1999 und 2000 ein herausragendes Beschäftigungswachstum von 4,4 Prozent. Auch der Boom von 2005 an war mit einem ähnlich starken Jobzuwachs wie in Deutschland verbunden.

Die deutsche Arbeitsmarktpolitik ließ vor allem die Kluft zwischen Arm und Reich wachsen. In den vergangenen zehn Jahren erhöhten sich preisbereinigt nur die Einkünfte der oberen Einkommensgruppen. Die Einkommen der weniger reichen Privathaushalte stagnierten. Bei rückläufigen Mitgliederzahlen der Gewerkschaften und abnehmender Tarifbindung entwickelten sich die Löhne bereits seit Mitte der 1990er-Jahre nur noch mäßig, so die Wissenschaftler. Der Niedriglohnsektor weitete sich aus. Die Hartz-Gesetze verstärkten diese Tendenz von 2002 an nochmals.

Gegen den historischen und internationalen Trend stieg ebenfalls seit 2002 die Sparquote der privaten Haushalte. Bis zur Hälfte des Anstiegs lasse sich durch die Umverteilung von Einkommen zugunsten der reichen Haushalte erklären, die überproportional viel sparen, so Sturn und van Treeck. Zudem dürften die Reformen auf dem Arbeitsmarkt im Zusammenspiel mit der gleichzeitigen Teilprivatisierung der Gesetzlichen Rentenversicherung zur Verunsicherung und Konsumzurückhaltung der privaten Haushalte beigetragen haben.

Die ausgeprägte Lohnzurückhaltung ging einher mit einer stagnierenden Binnenkonjunktur bei hohen Außenhandelsüberschüssen auf Kosten der europäischen Nachbarn. Während des Aufschwungs ab 2005 speiste sich das kräftige Wachstum der Bundesrepublik vor allem aus der Exportnachfrage, insbesondere aus der EU. "Natürlich spricht nichts dagegen, dass Deutschland hohe Exporte erzielt", betonen die IMK-Forscher. Systematische Export- und Leistungsbilanzüberschüsse, die aus einer im Vergleich mit dem Ausland zu schwachen binnenwirtschaftlichen Entwicklung und somit zu geringen Importen resultieren, seien jedoch ein Problem. Und darum sei Deutschland für die gegenwärtigen Zahlungsprobleme der Euroländer mit hohen Leistungsbilanzdefiziten mit verantwortlich.

Zudem hat auch die aktuelle, durchaus positive Situation am deutschen Arbeitsmarkt nichts mit seiner Deregulierung zu tun, so Sturn und van Treeck. In der Krise hätten die Unternehmen nur wenige Beschäftigte entlassen, obwohl es ihnen leichter möglich gewesen wäre. Stattdessen hielten sie Arbeitskräfte über den Einsatz von Arbeitszeitkonten und der Kurzarbeit. Auch die weltweiten Konjunkturprogramme ließen Unternehmen darauf vertrauen, dass sich die Nachfrage nach ihren Produkten schnell wieder erholen würde.

Dass eine balancierte Wachstumsentwicklung mit besserer Beschäftigungs- und Verteilungsentwicklung möglich ist, zeigt das Beispiel Frankreichs. Das deutsche Arbeitsmarktmodell schaffe im Vergleich nicht mehr Arbeitsplätze, sei hinderlich für das Wachstum und inkompatibel mit einer stabilen ökonomischen Entwicklung in Europa, fassen die Wissenschaftler ihre Analyse zusammen. Ein wichtiger erster Schritt hin zu einer Normalisierung des deutschen Wachstumsmodells wären Lohnabschlüsse, die den Verteilungsspielraum ausnutzen.

  • Obwohl die deutsche Wirtschaft im jüngsten Aufschwung über einen längeren Zeitraum wuchs als im vorherigen, stieg die Erwerbstätigkeit kaum kräftiger. Zur Grafik

Simon Sturn, Till van Treeck: Arbeitsmarktreformen in Deutschland: Hohe soziale Kosten ohne gesamtwirtschaftlichen Nutzen, in: WSI-Mitteilungen 11/2010

Vom Krisenherd zum Wunderwerk? (pdf), IMK-Report 56/2010 

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen