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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Jobmotor soziale Dienstleistungen

Ausgabe 07/2006

Deutschlands hohe Arbeitslosigkeit hat auch damit zu tun, wie hierzulande die Arbeit zwischen Staat, Markt und privaten Haushalten aufgeteilt ist, diagnostizieren Soziologen der Universität der Bundeswehr Hamburg. Während die angelsächsischen und die skandinavischen Länder im Sektor sozialer Dienstleistungen mehr Jobs schaffen konnten, setzen die Deutschen immer noch darauf, dass Familien Jobs wie Pflege oder Kinderbetreuung selbst erledigen.

Die Forscher identifizieren international drei verschiedene Modelle, die jeweils unterschiedlich festlegen, welche Tätigkeiten in Form von Erwerbsarbeit, unbezahlter Haus- und Eigenarbeit, Schwarzarbeit und Ehrenarbeit geleistet werden - und wer dafür zuständig ist.

Wirtschaftsliberal geprägte Gesellschaften wie die USA haben mit der Ökonomisierung sozialer Dienstleistungen für eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze gesorgt. Hohe Lohnspreizung, außerordentlich lange individuelle Erwerbsarbeitszeiten und das weitgehende Fehlen von öffentlichen Dienstleistungen machen das angelsächsische Modell aus. Niedrige Transferleistungen und minimale Sozialversicherungsprogramme zwingen alle Bürgerinnen und Bürger dazu, ihreLebenslagen selbst abzusichern, so gut es geht.

Private Haushalte verlieren so ihre Bedeutung als Produzenten unbezahlter Dienstleistungen und Arbeitsraum der Familienmitglieder. Besonders die Ober- und Mittelschicht lässt sich in ihrer Erziehungs- und Hausarbeit von gering entlohnten Dienstboten unterstützen. Niedrige Staatsausgaben für Sozialleistungen gehen in einem solchen System einher mit einer hohen Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung und einer geringen Arbeitslosigkeit.

Das skandinavische Modell erreicht ebenfalls eine hohe Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, gepaart mit einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Doch spielt der Staat hier eine weitaus aktivere Rolle, indem er soziale Dienstleistungen anbietet. Viele Aufgaben, die bisher nicht berufstätige Frauen zu Hause erledigt haben, übernehmen inzwischen professionelle Helfer des öffentlichen Dienstes. Das umfangreiche Angebot des Staates unterstützt die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. Die Erwerbsbeteiligung beider Geschlechter ist somit hoch. Die haushaltsnahe Infrastruktur erkaufen sich die privaten Haushalte mit einer hohen individuellen Steuer- und Abgabenquote.

Das deutsche Modell zeichnet sich durch hohe Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig niedriger Erwerbsquote aus - und das, obwohl der Staat auch hier viel Geld für Sozialleistungen ausgibt. Der Grund: Immer noch sind es in der Mehrzahl die Frauen, die in den privaten Haushalten Kinder erziehen und Alte betreuen; unentgeltlich, aber staatlich unterstützt. Mit monetären Transfers wie Eltern-, Kinder- und Erziehungsgeld, mit Steuerfreibeträgen und der Einrichtung der Pflegeversicherung hilft der Staat den Familien dabei, Erziehungs-, Betreuungs- und Pflegeaufgaben selbst zu erledigen.

Familien erwachsen so zwar willkommene finanzielle Spielräume. Diese führen aber nicht zu mehr Beschäftigung. Anders in Skandinavien: Dort bewirken die hohen staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen die Expansion des sozialen und personenorientierten Dienstleistungssektors.

Trotz dieser erheblichen Hindernisse ist die Frauenerwerbstätigkeit auch in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten ständig angestiegen. Familie und Beruf zu vereinbaren bleibt wegen des Fehlens sozialer Dienstleistungen schwierig. Die niedrige Geburtenrate und die zunehmende Überalterung der Gesellschaft in Deutschland sind das Ergebnis. Eine Umsteuerung der sozialen Transfers ist unumgänglich, finden die Forscher. Denn international vergleichende Untersuchungen zeigen, dass sich arbeitsmarktpolitisch erfolgreiche Länder durch öffentliche oder private soziale Dienstleistungsangebote, eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen und hohe Geburtenraten auszeichnen. Von der Industrie erwarten die Wissenschaftler vor dem Hintergrund weiter steigender Produktivität und künftiger Innovationen nur noch geringe Beschäftigungsimpulse. Nur der soziale Dienstleistungssektor kann den Durchbruch auf dem deutschen Arbeitsmarkt bringen: mit haushaltsnahen und personenbezogenen Tätigkeiten, die lokal produziert und konsumiert werden. So lange die öffentlichen Sozialausgaben in den privaten Haushalten als Geldleistungen versickern, entstehen keine neuen Arbeitsplätze.

  • In Ländern mit öffentlich bereit gestellten sozialen Dienstleistungen sind mehr Frauen erwerbstätig. Zur Grafik
  • In Deutschland spielen soziale Dienstleistungen eine deutlich geringere Rolle als in Schweden. Zur Grafik

Christiane Bender, Hans Graßl: Arbeiten und Leben in der Dienstleistungsgesellschaft, UVK Verlag, Konstanz 2004.

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