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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Jede dritte Frau arbeitet atypisch

Ausgabe 11/2019

Die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse stagniert auf hohem Niveau. Besonders betroffen sind Frauen im Westen.

  • Das Risiko, keine reguläre Beschäftigung zu finden, ist ungleich verteilt. Zur Grafik

Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit oder Minijobs als Männer. Jüngere, geringer Qualifizierte und Beschäftigte ohne deutschen Pass üben ebenfalls überdurchschnittlich oft eine sogenannte atypische Beschäftigung aus, zu der neben Teilzeit und Minijobs auch Befristung und Leiharbeit zählen. Wegen der unterschiedlichen Erwerbsmuster von Frauen unterscheiden sich die Quoten in Ost- und Westdeutschland erheblich – und haben sich in den vergangenen Jahren weiter auseinanderentwickelt: In den neuen Bundesländern liegt der Anteil atypisch Beschäftigter im Schnitt bei gut 16 Prozent, in Brandenburg sogar unter 15 Prozent. Im Westen reicht sie von knapp 18 Prozent in Hamburg bis 23 Prozent und mehr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Bremen. Das zeigt eine Auswertung des WSI. 

Teilzeit, Befristung und Leiharbeit waren von Anfang der 1990er-Jahre bis zur Finanzkrise auf dem Vormarsch. Seit 2010 ist der Anteil an der sogenannten Kernerwerbstätigkeit – darin sind etwa Auszubildende, Schüler, Studierende oder jobbende Rentner nicht enthalten – wieder ein wenig gesunken, zuletzt verharrte er bei rund 21 Prozent. 1991 waren es erst knapp 13 Prozent, auf dem Höhepunkt 2007 fast 23 Prozent, wie die Analyse zeigt. Bei ihrer Untersuchung stützen sich die WSI-Forscher Eric Seils und Helge Baumann auf Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes. Auf dieser Basis haben sie detaillierte Werte für 2017 berechnet – dem letzten Jahr, für das derzeit Daten vorliegen. 

Die WSI-Studie zeigt: Atypische Beschäftigung verteilt sich keineswegs gleichmäßig auf Bevölkerungsgruppen und Regionen. Zwei Drittel des Zuwachses seit der Wiedervereinigung geht auf die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung unter Frauen in Westdeutschland zurück. Bundesweit sind 30,5 Prozent aller kernerwerbstätigen Frauen atypisch beschäftigt, wobei Minijobs und Teilzeitarbeit dominieren. Von den Männern sind 12,2 Prozent betroffen. Bei ihnen spielen Leiharbeit und befristete Beschäftigung eine vergleichsweise große Rolle. Das ergibt insgesamt eine durchschnittliche Quote von 20,8 Prozent im Jahr 2017.

  • Jeder Fünfte ist atypisch beschäftigt. Zur Grafik

Unabhängig vom Geschlecht arbeiten vor allem jüngere Beschäftigte in atypischen Jobs. Unter den 15 bis 24-Jährigen gilt dies für 30,9 Prozent. Wesentlicher Grund: Berufsanfänger erhalten häufig erst einmal nur einen befristeten Vertrag. Die Quote geht in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren auf 22 Prozent zurück, sinkt danach weiter leicht, um in der Altersgruppe der Über-55-Jährigen wieder etwas anzusteigen. Allerdings sind die Trends unter Männern und Frauen teilweise unterschiedlich: Bei weiblichen Beschäftigten steigt die Quote in der Phase der Familiengründung zwischen 35 und 44 Jahren kräftig an. 

Überdurchschnittlich betroffen von atypischer Beschäftigung sind Menschen ohne deutschen Pass. Der Anteil reicht von 25,3 Prozent unter Ausländern aus den „alten“ EU-15-Ländern bis zu 35,3 Prozent unter Menschen, die aus Staaten außerhalb der EU stammen. Während die Zahl atypisch Beschäftigter ohne deutsche Staatsangehörigkeit in den vergangenen Jahren um knapp 500 000 zugenommen hat, ging sie unter Deutschen um insgesamt 630 000 zurück.

Besonders der Bildungs- und Berufsabschluss beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, atypisch beschäftigt zu sein. Während 36,6 Prozent der Arbeitnehmer ohne anerkannte Berufsausbildung betroffen sind, liegt die Quote bei Beschäftigten mit abgeschlossener Lehre oder Berufsfachschule bei 20,7 Prozent. Am niedrigsten ist sie unter Menschen mit Hochschulabschluss: 14,3 Prozent. 

Das Bundesland Bremen steht mit gut 26 Prozent atypischer Beschäftigung an der Spitze. Es folgen das Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit Quoten zwischen knapp 23 und 24 Prozent. Niedersachsen und Hessen verzeichnen Anteile von rund 22 Prozent, Bayern knapp 20 Prozent. Sowohl in Bremen als auch in Bayern geben männliche Beschäftigte den Ausschlag: Ihre Quote atypischer Beschäftigung ist in dem norddeutschen Stadtstaat mit 20,4 Prozent überdurchschnittlich hoch, während sie im Freistaat bei knapp neun Prozent liegt. 

Generell deutlich niedriger sind die Quoten in Ostdeutschland, wo Frauen seit langem weitaus häufiger in Vollzeit arbeiten und die öffentliche Kinderbetreuung stärker ausgebaut ist. Den bundesweit niedrigsten Wert weist Brandenburg mit 14 Prozent auf. Zudem ist die atypische Beschäftigung zuletzt im Osten spürbar gesunken, während sich im Westen nur wenig verändert hat. Daher ist die Differenz zwischen ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern mit aktuell 5,5 Prozentpunkten größer als Mitte der 1990er- oder 2000er-Jahre. Damals betrug die Differenz nur gut einen beziehungsweise 3,5 Prozentpunkte. 

Dass die atypische Beschäftigung im gesamtdeutschen Durchschnitt in den letzten Jahren zumindest leicht zurückgegangen ist, führen die WSI-Wissenschaftler auf die vergleichsweise gute Konjunktur zurück, die vermehrt Nor­malarbeitsverhältnisse entstehen ließ. Zudem gehen Frauen in jüngster Zeit etwas seltener Teilzeitbeschäftigungen mit sehr geringer Stundenzahl nach. Dennoch betonen Seils und Baumann, dass das aktuelle Niveau der atypischen Beschäftigung weiterhin hoch sei. Daher raten sie, „den Trend zu längeren Arbeitszeiten teilzeitbeschäftigter Frauen durch politische Maßnahmen zu flankieren“. Ein weiterer Ausbau der Kinderbetreuung sei ein Baustein dazu. Wenn mehr Frauen ihre Arbeitszeit ausweiten, vergrößere das zum einen ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit – auch im Rentenalter. Zum anderen ließe sich damit auch die prognostizierte Arbeitskräfteknappheit dämpfen.

Eric Seils, Helge Baumann: Trends und Verbreitung atypischer Beschäftigung, eine Auswertung regionaler Daten, WSI-Policy Brief Nr. 34, Juni 2019 

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