Coronakrise: Investieren in eine gute Zukunft
Der Recovery Plan der EU kann ein wichtiger Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen Krisenbewältigung sein. Es braucht aber deutlich mehr Investitionen.
Das Coronavirus hat Europas Volkswirtschaften heftig erwischt: Das IMK rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung im Euroraum in diesem Jahr um mehr als acht Prozent einbrechen wird. Um dem Absturz etwas entgegenzusetzen, hat die EU-Kommission unter anderem einen 750 Milliarden Euro schweren Aufbauplan vorgestellt. Nach Einschätzung des IMK geht der Plan in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. Sein Alternativvorschlag sieht ein Investitionsprogramm über zwei Billionen Euro vor, die in das Gesundheitswesen, Verkehrsprojekte und die Energieversorgung fließen sollen.
Erste Schritte im Kampf gegen die wirtschaftlichen Verheerungen der Pandemie habe die Kommission bereits Mitte März ergriffen, schreibt IMK-Europaexperte Andrew Watt. Sowohl die Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts als auch Beschränkungen für staatliche Beihilfen an Unternehmen in Not seien ausgesetzt worden. Rechtliche Hürden für die Wirtschaftspolitik seien so zwar weggefallen. Aber Mitgliedstaaten könnten trotzdem unter den Druck der Finanzmärkte geraten, sodass fiskalische Unterstützung auf europäischer Ebene unentbehrlich bleibt.
Daher sei der Aufbauplan der EU-Kommission, der einen deutsch-französischen Vorstoß aufgreift und ausweitet, zu begrüßen. Insgesamt sollen 750 Milliarden Euro an den Finanzmärkten aufgenommen werden. 500 Milliarden Euro davon sollen als Zuschüsse an besonders betroffene Mitgliedsländer fließen, 250 Milliarden in Form von Darlehen. Das IMK betrachtet diesen Plan als „wichtigen Durchbruch“: Erstmals werde eine „gemeinsame makroökonomische Stabilisierungskapazität“ geschaffen, die nach Bedarf in den Mitgliedsländern und nicht nach der Höhe der Beiträge zum Einsatz kommt. Dass dabei nicht nur Darlehen, sondern Zuschüsse gewährt werden, sei ein entscheidender Fortschritt. Der Aufbaufonds sei zwar nur als vorübergehende Lösung konzipiert, könne aber als Blaupause für eine dauerhafte Finanzkapazität der Eurozone dienen.
Um die aktuellen Herausforderungen tatsächlich zu meistern und die europäische Wirtschaft zugleich zukunftsfest zu machen, bräuchte es laut IMK allerdings noch ambitioniertere Maßnahmen. Wie ein entsprechendes Programm aussehen könnte, hat IMK-Forscher Watt gemeinsam mit Kollegen vom Observatoire français des conjonctures économiques in Paris und vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche ausgelotet. Die Ökonomen schlagen vor, über zehn Jahre zwei Billionen Euro zu investieren. 500 Milliarden Euro sollen, wie von der EU-Kommission geplant, direkt an notleidende Mitgliedsstaaten gehen. Die restlichen 1,5 Billionen Euro dagegen sind für „genuin europäische Projekte“ vorgesehen.
Dazu gehört zum einen die Schaffung einer Europäischen Gesundheitsbehörde, die in die Qualifizierung und grenzüberschreitende Mobilität von Gesundheitspersonal investiert und den Zugang zu bestimmten Arzneimitteln und medizinischer Ausrüstung auch in Krisen sicherstellen soll.
Als ein weiteres mögliches Projekt nennen die Forscher einen „Ultraschnellzug“, der über ein Streckennetz von über 18 000 Kilometern die europäischen Metropolen verbinden würde. Die Reisezeit zwischen Paris und Berlin ließe sich so auf vier Stunden halbieren, Teile des innereuropäischen Luftverkehrs wären überflüssig, sodass auch dem Klimaschutz gedient wäre.
Als Alternative zum Schnellzug böte sich laut den Wirtschaftswissenschaftlern an, in eine „Europäische Seidenstraße“ zu investieren. Darunter verstehen sie eine Transportinfrastruktur mit neuen Zugverbindungen, Häfen und Logistikzentren, die sich bis hin zu osteuropäischen Nachbarstaaten und nach Russland, erstrecken soll. Schätzungen zufolge könnten dadurch bis zu sieben Millionen neue Jobs entstehen.
Schließlich sieht der Vorschlag der Ökonomen vor, den „Green Deal“ der EU zu „elektrifizieren“, indem die Netze fit gemacht werden für den Transport von Strom aus erneuerbaren Energien und indem die Infrastruktur für E-Mobilität ausgebaut wird.
Andrew Watt u. a.: How to spend it – A proposal for a European Covid-19 recovery programme, IMK Policy Brief Nr. 92, Juni 2020
Andrew Watt: Wirtschaftspolitische Maßnahmen der EU im Zusammenhang mit der Coronapandemie, IMK Policy Brief Nr. 93, Juni 2020