Wirtschaftspolitik: Investieren für die Konjunktur
Nach den ersten Sofortmaßnahmen muss die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm auflegen. Ökonomen fordern umfassende Investitionen.
Die deutsche Wirtschaft braucht einen starken staatlichen Impuls. Das notwendige Konjunkturprogramm sollte vor allem auf die Förderung von privaten und öffentlichen Investitionen in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, erneuerbare Energie, emissionsarmer Verkehr, digitale Infrastruktur und Bildung abzielen. Das fordert eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern um Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW).
In ihrem Papier erläutern die Ökonomen, warum die ersten Sofortmaßnahmen noch nicht ausreichen. „Weitere Schritte werden notwendig sein, damit Wirtschaft und Gesellschaft den Weg aus der Krise heraus auf einen sozial ausgewogenen, nachhaltigen Wachstumspfad finden können“, heißt es in der gemeinsamen Analyse. Und weiter: „Eine Politik des Abwartens kann hohe Kosten verursachen.“ Um auf die Herausforderungen der Krise zu reagieren, braucht es nach Ansicht der Forscher neue wirtschaftspolitische Rezepte. Was in vergangenen Krisen funktioniert habe, etwa die Konjunktur über die Konsumnachfrage zu stimulieren, sei in der aktuellen Lage weniger vielversprechend und habe eventuell sogar unerwünschte gesundheitspolitische Nebenwirkungen, schließlich blieben die Möglichkeiten zum Einkaufen oder Ausgehen auf absehbare Zeit beschränkt. Der staatliche Impuls sollte daher vor allem ein Investitionsprogramm sein – damit ließen sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Widerstandskraft der Wirtschaft insgesamt erhöhen.
Die Forscher gliedern ihre Vorschläge in drei Bereiche: Private und öffentliche Investitionen sowie Ausgaben für Bildung. Um private Investitionen anzuregen, setzen die Experten auf gezielte Lösungen wie verbesserte Abschreibungsregelungen. Generelle Steuersenkungen schlagen sie ausdrücklich nicht vor. Die erweiterten Abschreibungen sollten zeitlich befristet sein, um einen Anreiz zu einer schnellen Planung und Umsetzung von Investitionen zu bieten. Denkbar wäre zum Beispiel eine vollständige Sonderabschreibung von Anlagegütern im Jahr der Anschaffung. Dies stärke die Finanzierungskraft sowie die Solvenz von Unternehmen – und damit auch deren Bereitschaft, zu investieren.
Darüber hinaus wären folgende Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen sinnvoll:
- Unterstützung der Autoindustrie durch Förderung von Ladesäulen und Batteriezellenproduktion
- Ausbau von Solar- und Windenergie
- Förderung von klimaneutralen Anlagen in der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie
- steuerliche Vorteile für Forschung und Entwicklung speziell in kleinen und mittleren Unternehmen
- Abwrackprämie für Ölheizungen verbunden mit Anreizen zum Einbau von Wärmepumpen
- Förderung energetischer Gebäudesanierung
- Abnahmegarantien für im Inland produzierte medizinische Güter
Nach Meinung der Forscher sollte der Staat zusätzlich die öffentlichen Ausgaben erhöhen: Damit schaffe man einen Ausgleich für den Rückgang der privaten Nachfrage und stärke das langfristige Wachstum. Ein Blick auf die verschiedenen staatlichen Ebenen zeige deutlich, dass der größte Bedarf an öffentlichen Investitionen bei den Kommunen liegt. An dieser Stelle müsse der Bund unterstützend eingreifen. Zugleich solle der Staat Investitionen in öffentlichen Unternehmen vorantreiben. Zu diesen Maßnahmen raten die Forscher:
- Tilgung der Altschulden überschuldeter Kommunen durch einen einmaligen Beitrag
- Einrichtung eines Fonds, der den Kommunen die Kosten für die Pandemie-Bekämpfung erstattet
- zusätzliche Mittel für den Erhalt einer flächendeckenden Krankenhaus- und Notfallversorgung
- Aufstockung der Mittel aus dem Kommunalinfrastrukturförderungsgesetz I für finanzschwache Kommunen
- mehr Bundesmittel für den Ausbau des schienengebundenen Nahverkehrs
- Gründung eines Investitionsfonds des Bundes, der sich an öffentlichen Infrastrukturgesellschaften der Länder oder Kommunen beteiligt
- Ausbau der Partnerschaft Deutschland (PD) – dabei handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft in öffentlicher Hand, die Kommunen und Länder in Fragen der Verwaltungsmodernisierung und bei der Planung von Bau- und Infrastrukturprojekten berät
- Stärkung und Neugründung öffentlicher Unternehmen wie beispielsweise einer Infrastrukturgesellschaft Digitales oder einer europäischen Wasserstoff-Entwicklungsgesellschaft
Darüber hinaus sollte der Staat die Investitionen in Bildung erhöhen. In der Krise sei einmal mehr deutlich geworden, wie sehr familiäre Unterschiede dem gesellschaftlichen Ziel gleicher Chancen für alle entgegenstehen, schreiben die Forscher. Viele Schulabgänger würden keinen Ausbildungsplatz finden, weil die Bewerbungsphase in eine Zeit fällt, in der sich die Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhalten. „Aus ökonomischer Sicht ist es sinnvoll, jetzt staatliche Sonderprogramme mit verbesserten Konditionen zur Ausbildung von Fachkräften in Bereichen wie frühe Bildung und Pflege aufzulegen“, heißt es in dem Papier. Investitionen sollten vor allem in diesen Bereichen erfolgen.
- Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung
- Steigerung der pädagogischen Qualität in der Kindertagesbetreuung, beispielsweise durch bessere Personalschlüssel und eine nachhaltige Förderung von „Sprach-Kitas“ über 2020 hinaus
- Ausbau der ganztägigen Betreuung von Grundschulkindern
- Digitalisierung von Schulen
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Sonderprogramme für Beschäftigte in Erziehungs- und Pflegeberufen
- Ausweitung des (Transformations-)Kurzarbeitergeldes in Kombination mit beruflicher Weiterbildung oder Umschulung.
Die notwendigen Maßnahmen sollten als Gesamtpaket verabschiedet werden, damit private Haushalte und Unternehmen frühzeitig wissen, womit sie planen können, schreiben die Ökonomen. Das bedeute nicht, dass alle Maßnahmen gleichzeitig verwirklicht werden müssen. Die Umsetzung werde sich teils über mehrere Jahre ziehen. In dieser Zeit könnten zurzeit nicht vorhersehbare Anpassungen erforderlich sein. „Das alles spricht für eine Wirtschaftspolitik, die den Mut zum großen Wurf mit der notwendigen Flexibilität in der Umsetzung verbindet“, so die Wissenschaftler.
Weil die aktuelle Situation hohe Flexibilität erfordert, haben die Ökonomen in ihrem Papier bewusst auf die Angabe konkreter Zahlen für die verschiedenen Maßnahmen und für das Gesamtprogramm verzichtet. Sie empfehlen, die zusätzlichen Investitionsausgaben durch Kredite zu finanzieren. Deutschland habe – im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern – dafür die notwendigen finanziellen Spielräume: Die deutsche Staatsschuldenquote sei moderat und die Zinsen auf Bundesanleihen seien niedrig. Auch mit Blick auf künftige Generationen sei eine Kreditfinanzierung sinnvoll – schließlich handele es sich um Investitionen in die Zukunft, deren „erwartete gesamtwirtschaftliche Rendite weit über dem Zinssatz für eine Neuverschuldung“ liegt. Eine Finanzierung mittels Steuererhöhung sei dagegen nicht sinnvoll, da diese die positiven Konjunkturimpulse des Investitionspakets schwächen würden.
Sebastian Dullien, Michael Hüther, Tom Krebs, Barbara Praetorius, C. Katharina Spieß: Weiter denken: Ein nachhaltiges Investitionsprogramm als Teil einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik (pdf), IMK Policy Brief Nr. 90, Mai 2020