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Investieren für den Neustart/Deutschland muss klotzen Böckler Impuls

Europa: Investieren für den Neustart

Ausgabe 19/2021

Viele Jahre lang wurde in Europa mehr Wert auf Sparen als auf Investieren gelegt. Nun ist der Nachholbedarf groß. In den kommenden Jahren sind massive Investitionen nötig.

Europa steht vor großen Herausforderungen: Die Folgen der Coronakrise müssen bewältigt, die Transformation hin zu mehr Klimaschutz und Digitalisierung eingeleitet werden. Dazu sind europaweit große Investitionen nötig. Die Fehler der Vergangenheit – etwa im Zuge der europäischen Schuldenkrise – dürfen sich nicht wiederholen. Zu diesem Schluss kommen Ökonominnen und Ökonomen der Europäischen Investitionsbank (EIB).

Über lange Zeit haben die EU-Staaten das Thema vernachlässigt. Im Jahr 2016 steckten sie im Schnitt nur 2,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Investitionen, was dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren entsprach. Seitdem hat sich die Quote kaum verbessert – im Jahr 2020 betrug sie 3,3 Prozent. Besonders schwach fielen die staatlichen Investitionen in Südeuropa aus, wo sie in den Jahren nach der Schuldenkrise bis auf 1,2 Prozent des BIP sanken. Verantwortlich dafür waren vor allem die Sparmaßnahmen, die Ländern wie Griechenland oder Portugal abverlangt wurden. Sie erwiesen sich in doppelter Hinsicht als schädlich: Die drastische Kürzung öffentlicher Investitionen ließ das Wirtschaftswachstum einbrechen. Da in der Folge auch private Investitionen ausblieben, ist der Rückstand in vielen Bereichen nun umso größer, was am Verfall der Infra­struktur oder an Lücken bei der Daseinsvorsorge sichtbar wird. Die Berechnungen der EIB zeigen, dass die Effekte der Sparpolitik selbst nach Jahren deutlich ausgeprägt sind: Sieben Jahre nach Beginn der Haushaltskonsolidierung liegen die staatlichen Investitionen in der EU gemessen am BIP immer noch um 0,5 Prozentpunkte niedriger als zuvor, was einem Rückgang von 14 Prozent entspricht. 

Milliarden für Klimaschutz und Digitalisierung

Inzwischen hat sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass es nicht funktioniert, sich aus einer Krise heraus zu sparen. Das zeigt auch die Reaktion auf den wirtschaftlichen Einbruch infolge der Coronakrise. Die nationalen Maßnahmen und die Konjunkturprogramme auf EU-Ebene legen den Schwerpunkt stark auf öffentliche Investitionen. Allein der 2020 beschlossene europäische Aufbauplan stellt den Mitgliedstaaten Zuschüsse und Darlehen in Höhe von rund 670 Milliarden Euro zur Verfügung, finanziert durch von der Kommission herausgegebene Anleihen. Die Mittel sind dafür gedacht, Europa besser aufzustellen für die Zukunft, vor allem sollen Klimaschutz und Digitalisierung gefördert werden. Insgesamt dürften die öffentlichen Investitionen der EIB-Analyse zufolge EU-weit zwischen 2021 und 2023 im Schnitt auf 3,5 Prozent des BIP steigen. Doch auch das kann nur ein Anfang sein. Nach Angaben der EU-Kommission sind bis 2030 im Vergleich zum vorangegangenen Jahrzehnt jährlich rund 350 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen erforderlich, wenn die Klima- und Energieziele erreicht werden sollen.

„Die Regierungen haben ihre Lektion gelernt, was überstürzte Haushaltskonsolidierungen anrichten können“, schreiben die EIB-Expertinnen und Experten. Offenbar solle diesmal investiert werden, statt zu sparen. Doch die Bereitschaft, Geld auszugeben, reiche allein nicht aus. Um erfolgreich zu sein, müssten öffentliche Investitionsprogramme genau überwacht und bewertet werden. Entscheidend sei, konkrete Projekte zu definieren, die ohne öffentliche Unterstützung nicht realisiert würden. Außerdem sollten die Programme begleitet werden von Strukturreformen, die zusätzliche private Investitionen erleichtern. 

Die Finanzierungsbedingungen seien aktuell günstig, da die Zinsen auch dank der Intervention der Europäischen Zentralbank weiterhin außerordentlich niedrig sind. Wenn das nominale BIP-Wachstum den nominalen Zinssatz übersteigt, könnten sich die EU-Staaten moderate Defizite leisten – und gleichzeitig die teils hohen Schuldenquoten stabilisieren oder sogar senken. Allerdings dürfe die Gelegenheit nicht verspielt werden. Die Bedingungen könnten sich – etwa bei anhaltend hoher Inflation und steigenden Zinsen – schnell verschlechtern.

Andrea Brasili u.a.: Public Investment in the Pandemic – Europe at a Glance (pdf), in: Floriana Cerniglio, Francesco Saraceno, Andrew Watt (Hrsg.): The Great Reset, European Public Investment Outlook 2021, Cambridge, Open Book Publishers, November 2021

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