Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Internationale Normen bedrohen Mitsprache
Die Internationale Normungsorganisation ISO entwickelt Standards für Personalmanagement. Deren Anwendung könnte Spielräume für die Mitbestimmung einschränken.
Längenmaße, Schrauben, Stecker: Einheitliche Standards erleichtern das Leben enorm. Genormt werden heute aber nicht mehr nur Endprodukte. Die Internationale Normungsorganisation hat auch für Produktions- und Managementprozesse komplexe Regelwerke aufgestellt. Am bekanntesten dürften die Normen ISO 9000 zum Qualitätsmanagement und ISO 14 000 zum Umweltmanagement sein. Sind Firmen entsprechend zertifiziert, gilt das als Ausweis einer guten Unternehmensführung. Einfluss und Verbreitung der ISO-Regeln sind groß.
Die Entwicklung von Management-Normen begann Ende der 1970er-Jahre. Innerhalb der vergangenen 40 Jahre habe sich „der Fokus erheblich verschoben von technischen Bauteilen über Funktionsgruppen und komplexe Wirtschaftsgüter bis tief hinein in die sozioökonomischen und sozioökologischen Prozesse der Gegenwart“, schreiben der Rechtsexperte Rolf Jaeger und Jan-Paul Giertz vom I.M.U. in einer aktuellen Studie. Inzwischen erreichen Normen auch die Arbeitsbeziehungen. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt entstehen seit etwa zehn Jahren Standards zum Human Resource Management, der Personalpolitik.
Internationale Normen, die Themen der Sozialpartner berühren – und bei deren Formulierung die Beschäftigtenseite meist wenig oder gar nicht einbezogen wurde – gibt es schon heute. Neu ist Jaeger und Giertz zufolge aber, dass Gestaltungsfelder der Sozialpartner nun „unmittelbar zum Gegenstand von Normung“ würden, was „potenziell eine Erosion des bestehenden Sozialdialogs bewirken“ könne.
Aus den ISO-Dokumenten sei abzulesen, dass es bei den geplanten Human-Resource-Normen vor allem um die Entwicklung von Effizienz und Produktivität, internationale Vergleichbarkeit und letztlich Vereinheitlichung geht. „Aus der Perspektive des mit anderen Volkswirtschaften nur bedingt vergleichbaren Modells der Sozialpartnerschaft in Deutschland muss diese Ausrichtung hellhörig machen“, so Jaeger und Giertz. Sie fragen: Können für die Rekrutierung von Personal in Deutschland und China dieselben Muster gelten? Die Experten stellen infrage, dass es angemessen wäre, überall die gleichen Kennzahlen, beispielsweise bei der Arbeitssicherheit, zu verwenden. Zur Erfüllung der Standards wird es notwendig sein, eine große Menge an Daten zu sammeln, was zu Problemen mit dem Schutz der Privatsphäre der Beschäftigten führen könnte. Ein anderes Beispiel für problematische Fragen auf der ISO-Agenda: Wenn Standards für die Gestaltung von Vergütungssystemen festgelegt werden sollen, verstößt dies „klar gegen den Grundsatz der Tarifhoheit der Sozialpartner“.
Solange Normungen im Bereich Personal lediglich den Charakter von Leitlinien haben, wie es ursprünglich angestrebt war, erscheinen sie Jaeger und Giertz noch „hinnehmbar“. Allerdings zeichne sich nun ab, dass daraus ein geschlossenes System mit harten Regeln und Zertifizierungsanforderungen werden soll. Es sei nicht überraschend, dass es sich bei den Verfechtern dieser Neuausrichtung vor allem um Berater, Zertifizierungsagenturen und Softwareanbieter im Bereich Personalmanagement handelt.
Jenseits des konkreten Inhalts einzelner Vorschläge birgt die Normung, Standardisierung und Zertifizierung ein grundsätzliches Risiko: Wenn es eine Norm gibt und deren Einhaltung von einer externen Agentur bestätigt ist, hat das Management damit seine Schuldigkeit getan. Im Bereich der Lieferkette wird dies aktuell unter dem Stichwort „safe harbour“, sicherer Hafen, diskutiert. Damit könnten Produkte durch externe Prüfungsorganisationen zertifiziert werden und die Unternehmen auf eigene Kontrollen verzichten, die sicherstellen, dass Vorprodukte unter ethisch vertretbaren Bedingungen hergestellt werden. Auch mit „zertifizierter Personalarbeit“ wähnt sich eine Geschäftsführung möglicherweise auf der sicheren Seite und hält das Thema Personal für erledigt, was die Arbeit der Beschäftigtenvertretungen nicht einfacher machen dürfte.
Wo die Arbeitnehmerseite überhaupt beteiligt ist, ist sie anderen Organisationen in den ISO-Gremien zahlenmäßig krass unterlegen. Dennoch sei es Gewerkschaften bisher punktuell gelungen, erfolgreich gegen „übergriffige“ Normen zu intervenieren, schreiben Jaeger und Giertz. Insgesamt seien sie „von einer wirksamen Beteiligung am (internationalen) Normungsgeschehen“ jedoch „noch weit entfernt“. Dies sollte sich ändern. Zumal das Thema auch auf einem indirekten Weg in die Personalpolitik, einen Kernbereich der Mitbestimmung, vordringt: Künstliche Intelligenz, die etwa zur Personalauswahl eingesetzt wird, braucht gewisse Regeln. Was läge da näher als eine ISO-Norm?
Rolf Jaeger, Jan-Paul Giertz: Normung des Human Resource Managements, Mitbestimmungspraxis Nr. 51, April 2023