Quelle: HBS
Böckler ImpulsGeldpolitik: Inflationsrisiko wird überschätzt, Rezessionsgefahr vernachlässigt
Dass die Inflation in Deutschland oder im Euroraum deutlich ansteigt, ist sehr unwahrscheinlich. Wirtschaftliche Stabilität und Staatsfinanzen sind stärker durch einen Rückfall der Eurozone in die Rezession gefährdet.
Die Leitzinsen bleiben auf Tiefständen. In den USA pumpt die Zentralbank erneut Milliarden von Dollar in die Finanzmärkte. Gold notiert auf Rekordniveau. Nachrichten, bei denen sich viele Menschen Gedanken um den Wert ihres Geldes machen. Ökonomisch begründet sind solche Sorgen nicht, zeigt das IMK. Eine neue Studie der Forscher Silke Tober und Till van Treeck kommt zu dem Ergebnis, dass aktuell weder von der expansiven Geldpolitik noch von Lohnentwicklung oder Staatsschulden Inflationsgefahren ausgehen. "Es ist nachvollziehbar, dass die Deutschen Angst vor Inflation haben. Die Hyperinflation von 1923 und die Währungsreform in der Nachkriegszeit stecken tief in unserem kollektiven Bewusstsein", sagt Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. "Aber unsere Analyse zeigt, dass die Inflationsgefahr derzeit stark überschätzt wird." Auch überzogene Inflationsängste könnten allerdings zu einem Problem werden - wenn sie den Blick auf andere Gefahren verstellen, deren Eintreten weitaus wahrscheinlicher ist, warnen die Forscher.
Geldpolitik: EZB hat viele Instrumente gegen Inflation. In der Studie hat das IMK geprüft, ob mögliche Risikofaktoren für eine deutliche Geldentwertung wirklich gegeben sind, oder nicht. So sehen Kritiker die expansive Geldpolitik der großen Zentralbanken als Gefahr - also unter anderem die Anti-Krisen-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB hat den Leitzins auf ein Prozent gesenkt, die Banken mit viel Liquidität ausgestattet und Staatspapiere aufgekauft.
Doch bislang geht vom Kurs der EZB kein Inflationsdruck aus, betont das IMK. Das liegt daran, dass die Euro-Staaten trotz Erholung bei der Wirtschaftsleistung längst noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht haben. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ist nicht so stark, dass sie preisbeschleunigend wirken könnte. Für Lohn-Preisspiralen gibt es keinerlei Anzeichen, so die Forscher. Daher seien die geldpolitischen Weichenstellungen der EZB angemessen, insbesondere das niedrige Zinsniveau, schreiben Tober und van Treeck. Als Indizien für die Inflations-Unschädlichkeit der EZB-Strategie führen sie an:
=> Die Bereitstellung von Liquidität für die Banken hat zwar die Geldhäuser stabilisiert. Sie führte aber bisher weder zu einem starken Anstieg der Geldmenge M3 noch der Kredite. So ging die Kreditvergabe an Kapitalgesellschaften außerhalb des Bankensektors im September immer noch zurück - um 0,6 Prozent. Erst eine deutliche Ausweitung der Kreditvergabe könnte aber überhaupt erst die Nachfrage anheizen und die Inflation beschleunigen.
=> Das IMK ist überzeugt, dass die EZB problemlos reagieren kann, wenn sich die Konjunktur soweit verbessern sollte, dass bei unveränderter Geldpolitik eine Preisbeschleunigung drohen würde. Die Zentralbank kann dann die auf ihre expansive Geldpolitik zurückzuführende hohe Liquidität auf verschiedene Arten verringern. Begonnen hat sie damit bereits, indem sie lang laufende Kredite an Geschäftsbanken auslaufen lässt. Darüber hinaus hat sie die Möglichkeit, die Offenmarktgeschäfte, mit denen sie den Banken Liquidität zur Verfügung stellt, mengenmäßig zu begrenzen. Ein weiterer Weg: Die EZB erhöht durch höhere Einlagenzinsen den Anreiz, Geld bei ihr anzulegen - und es damit Wirtschaft und Finanzmärkten zu entziehen. Oder sie verkauft zuvor angekaufte Wertpapiere wieder. Vor allem aber bleibt den Zentralbankern noch der Leitzins als wichtigstes Instument.
Staatsschulden: Kein direkter Einfluss auf Geldentwertung. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die öffentliche Verschuldung auch in Deutschland in die Höhe getrieben. 2010 wird die Staatsschuld bei fast 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, 2011 knapp über 80 Prozent. Hinzu kommen staatliche Garantien für Banken. Können die hohen Schulden zu einer Geldentwertung führen? Nein, betonen die Ökonomen Tober und van Treeck, ein direkter Inflationsdruck geht davon nicht aus. Grund: Die mit den Schulden finanzierten zusätzlichen Ausgaben wurden schon in der Krise getätigt, als ein gravierender Nachfragemangel herrschte. Daher wirkten sie nicht preisbeschleunigend. Dass ein Teil der Aufträge aus den Konjunkturpaketen erst in diesem Jahr vergeben wurde, ist angesichts des überschaubaren Umfangs kein Problem, so das IMK. Den Geldwert unter Druck bringen können bestehende Staatsschulden nur indirekt, wenn sie das Vertrauen der Finanzmärkte in Schuldverschreibungen der betreffenden Länder und in die Währung erschüttern, analysiert das IMK. Das ist in Deutschland und im Euroraum derzeit aus mehreren Gründen unwahrscheinlich:
=> Der Staatsschuld steht meist ein erhebliches staatliches Vermögen gegenüber, rechnen die Forscher vor. Berücksichtigt man allein das Geldvermögen des Staates, sinkt die deutsche Schuldenquote auf etwa 50 Prozent des BIP. Würde man darüber hinaus die staatlichen Vermögensgüter mit einkalkulieren, glichen sich Vermögen und Verbindlichkeiten nahezu aus. Zudem verfüge Deutschland über ein "funktionsfähiges Steuersystem mit erheblichem Spielraum zur Erweiterung der Steuerbasis und Erhöhung der Steuersätze", schreiben die Wissenschaftler. So ist die Steuerbelastung von Vermögen im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich.
=> Die akute Schuldenkrise einzelner Euro-Länder ist durch den Rettungsschirm von EU und IWF unter Kontrolle, auch wenn es immer wieder temporäre Irritationen an den Märkten gibt. In der öffentlichen Debatte wird bisweilen gemutmaßt, Regierungen oder Zentralbanken könnten ein Interesse an einer höheren Inflation haben, um staatliche Schulden per Wertverlust zu reduzieren. Die IMK-Wissenschaftler halten das ebenfalls für extrem unwahrscheinlich. Regierungen und Zentralbank sei bewusst, dass diese Strategie enorme Risiken aufwerfen würde. Denn erstens hat ein großer Teil der Staatsanleihen nur eine relativ kurze Restlaufzeit. So werden in Deutschland 68 Prozent der ausstehenden Bundeswertpapiere innerhab der kommenden sechs Jahre fällig. Die Schulden müssten neu aufgenommen werden - zu dann erheblich höheren Zinsen. Zweitens könnte die EZB eine längere Phase mit höherer Inflation nur mit einer drastischen Zinserhöhung beenden. Das würde wiederum die Konjunktur schwer schädigen und die Staatseinnahmen schmälern. Aber selbst wenn die Regierungen dennoch auf Inflation setzen wollten, wären sie kaum in der Lage, die unabhängige EZB zu einer inflationären Geldpolitik zu bewegen, ist das IMK überzeugt.
Rezession als größtes Risiko für Staatsfinanzen. Nach der IMK-Analyse geht somit von der expansiven Geld- und Fiskalpolitik kein ernsthaftes Risiko aus. Wahrscheinlicher ist dagegen ein anderes Krisen-Szenario: dass einzelne EuroStaaten in die Rezession zurückfallen. "Die Gefahr besteht zumindest für einige südeuropäische Volkswirtschaften, und sie wächst, wenn alle Euro-Länder wie geplant gleichzeitig sparen und damit das ohnehin fragile Wachstum bremsen", sagt Studienautor van Treeck.
Sollten finanziell angeschlagene Euro-Staaten durch eine Rezession in akute Zahlungsschwierigkeiten geraten, würde das die Eurozone erneut in eine schwere Krise stürzen. Die übrigen Länder der Währungsgemeinschaft müssten einspringen. "Auch Deutschland wäre dann kaum in der Lage, über die eigenen Verbindlichkeiten hinaus die Schulden einer Vielzahl anderer Länder zu übernehmen", warnen die Forscher. Der gesamte Euroraum könne über Jahre hinweg in eine Stagnation oder gar Deflation abrutschen, die auch die Schuldenproblematik verschärfen würde.
Um das zu verhindern, ist es aus Sicht des IMK nötig, dass Deutschland und andere Euro-Länder mit deutlichen Leistungsbilanzüberschüssen und vergleichsweise stabilen Staatsfinanzen zunächst nicht auf einen Sparkurs einschwenken. Stattdessen sollten diese Länder, vor allem durch stärkere öffentliche Investitionen, die Rolle des Konjunkturmotors im Euroraum übernehmen. "Natürlich müssen wir unsere Budgets konsolidieren, aber dazu sollten wir die beste Strategie wählen", sagt IMK-Direktor Horn. "Mit dem Rückenwind eines stabilen Aufschwungs bringen wir es da viel weiter."
Silke Tober, Till van Treeck: Inflation - Die überschätzte Gefahr im Euroraum (pdf). IMK Report Nr. 57, November 2010