Atypische Beschäftigung: In der Regel schlecht für die Rente
Die atypische Beschäftigung nimmt zu - als Minijobs, Teilzeit- oder befristete Arbeit. Wer atypisch arbeitet, ist nicht zwangsläufig schlecht abgesichert. Es kommt darauf an, in welcher Hinsicht die Beschäftigung von der Norm abweicht.
Kaum zwei Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer in Deutschland haben noch ein Normalarbeitsverhältnis, also eine sozialversicherungspflichtige und unbefristete Vollzeitstelle. Das andere Drittel arbeitet Teilzeit, geringfügig, befristet oder bei Zeitarbeitsfirmen.
Dies alles sind so genannte atypische Beschäftigungen, die in mindestens einem Punkt vom Normalarbeitsverhältnis abweichen, schreiben die Sozialwissenschaftlerinnen Ute Klammer und Simone Leiber.
Teilzeit: Teilzeitarbeit ist Frauenarbeit, vor allem in Westdeutschland. Wo Betreuungsplätze fehlen, müssen Mütter zeitlich flexibel sein. Für viele ist eine Teilzeitstelle die einzige Chance, überhaupt zu arbeiten. Sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit hat Vorteile: Die "Rendite" bei Kranken- und Pflegeversicherung ist höher, so die Forscherinnen. Denn auch wer wenig einzahlt, erhält alle Leistungen.
Für die Rentenhöhe ist Teilzeitarbeit jedoch schlecht. Je weniger man einzahlt, desto niedriger fällt sie aus. Ein Durchschnittsverdiener benötigt heute fast 25 Erwerbsjahre, um eine gesetzliche Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu erreichen. Das bedeutet: Dauerhafte Teilzeitarbeit kann zu unzureichenden Alterssicherungsansprüchen führen.
Geringfügige Beschäftigung: Eine spezielle Form der Teilzeitarbeit ist der Minijob. Die meisten Minijobber sind über ihre Haupttätigkeit oder über ihre Familie kranken-, pflege- und rentenversichert. Ihre Einbuße an sozialer Sicherung ist dennoch beträchtlich. Da sie nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, haben Minijobber keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I.
Einen - naturgemäß äußerst geringen - Rentenanspruch erwerben sie zwar, aber Rehabilitation, vorgezogene Altersrente und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit stehen ihnen nicht zu. Die Möglichkeit, über eine freiwillige Aufstockung der Sozialbeiträge auch zu diesen Leistungen Zugang zu erhalten, nutzen bislang nur weniger als zehn Prozent.
Das größte Problem für hauptberufliche Minijobber: Wer nicht beim Partner mitversichert ist und sich freiwillige Beiträge nicht leisten kann, hat keine Krankenversicherung. Knapp 20 Prozent aller Minijobber sind alleinstehend und damit potenziell betroffen. Im Zweifelsfall müssen sie durch Sozialhilfe und Grundsicherung, also aus Steuermitteln unterstützt werden. Die Mitversicherung ist jedoch ebenfalls problematisch, denn sie subventioniert das männliche Ernährermodell. Die Hinterbliebenenrente kommt aus dem großen Rententopf, in den Mitversicherte nicht einzahlen.
Befristete Beschäftigung: Ein befristetes Arbeitsverhältnis unterscheidet sich bei der individuellen sozialen Absicherung auf den ersten Blick nicht von einem unbefristeten. Auf den zweiten Blick zeigt sich: Die Regelungen für Elternzeit werden unterlaufen. Die Beschäftigungsgarantie entfällt, die Risiken der Kindererziehung werden allein auf die Eltern übertragen - vor allem auf die Mütter. "Dies kann zum Aufschub von oder zum Verzicht auf Elternschaft führen", so die Forscherinnen.
Hinzu kommt: Betriebsrente gibt es gar nicht oder nur eingeschränkt. Wenn befristet Beschäftigte unter ihrer unsicheren Situation leiden, können sie krank werden, wie Studien vermuten lassen. Je kürzer befristete Arbeitsverhältnisse sind, desto ungünstiger: Nicht selten sind die Beschäftigten danach erst einmal arbeitslos. Arbeitslosengeld I erhält aber nur, wer innerhalb von zwei Jahren mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Auch hier muss notfalls der Steuerzahler einspringen.
Ob eine atypische Beschäftigung für die Betroffenen prekär ist oder nicht, hängt von der Art der Beschäftigung ab, von ihrer Dauer und vom familiären Umfeld. Auf die Sozialversicherungssysteme wirken atypische Beschäftigungsverhältnisse so unterschiedlich, dass hier nicht ihre Zahl den Ausschlag gibt, sondern die Frage, ob sie sozialversicherungspflichtig sind oder nicht. Problematisch sei die Tatsache, dass in Deutschland "sozialversicherungspflichtige Arbeit zunehmend durch Formen nicht-sozialversicherungspflichtiger Erwerbsarbeit ersetzt wird", warnen Klammer und Leiber. "Die Folgen - unzureichende Renten, steigender Sozialhilfe- oder Grundsicherungsbedarf - werden kollektiviert und stellen eine Hypothek für die Zukunft dar."
Ute Klammer, Simone Leiber: Atypische Beschäftigung und soziale Sicherung,
in: WSI-Miteilungen 5/2006.