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HBS Böckler Impuls

Wohnen: Immobilienboom vertieft soziale Spaltung

Ausgabe 12/2019

Gestiegene Häuserpreise in Deutschland haben die Ungleichheit erheblich vergrößert. Das reichste Zehntel hat seit 2011 real 1,5 Billionen Euro durch Wertsteigerungen gewonnen, während ärmere Haushalte unter steigenden Mieten leiden.

  • Seit 2010 werden Immobilien rasant teurer. Zur Grafik

Deutschland ist ein Nachzügler. Als in den 1990er-Jahren von New York bis Stockholm die Immobilienpreise anzogen, blieben die Zuwächse hierzulande überschaubar. Doch im vergangenen Jahrzehnt sind auch die deutschen Preise für Wohnungen und Häuser nach oben geschnellt. Im Gegensatz zu dem, was in anderen Ländern zu beobachten war, handelt es sich dabei nicht um eine mit Krediten aufgepumpte Spekulationsblase. Der Zunahme des Immobilienvermögens um inflationsbereinigt bis zu 2,8 Billionen Euro seit 2011 steht kein Anstieg der Hypothekenverschuldung gegenüber. In Deutschland dürfte es deshalb nicht zu einem Immobiliencrash à la USA kommen. Es droht aber eine soziale Krise, weil die Entwicklung am Immobilienmarkt die Ungleichheit drastisch verschärft. Sie hat „die Reichen reicher gemacht“, während viele Haushalte mit mittleren und niedrigeren Einkommen immer höhere Mieten zahlen müssen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Ökonomen Till Baldenius, Moritz Schularick und Sebastian Kohl von der Universität Bonn beziehungsweise dem Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.  

In Deutschland verfügt weniger als die Hälfte der Haushalte über eine eigene Immobilie, im internationalen Vergleich ein sehr niedriger Wert. Und 60 Prozent des Immobilienbesitzes entfallen auf das reichste Zehntel der Haushalte. Daher konzentrieren sich die Bewertungsgewinne hierzulande auf eine besonders kleine Gruppe. Der Studie zufolge sind „die Top-10-Prozent der deutschen Vermögensverteilung allein durch höhere Immobilienpreise inflationsbereinigt um knapp 1500 Milliarden Euro reicher geworden“. Aber: „Fast leer ausgegangen ist die untere Hälfte der deutschen Vermögensverteilung.“

Auch in regionaler Hinsicht sind die Vermögensgewinne höchst ungleich verteilt: „Der Immobilienboom hat ökonomisch prosperierende und reiche Regionen reicher gemacht, während ärmere Gegenden weiter zurückgefallen sind.“ Keine nennenswerten Wertsteigerungen hat etwa der Immobilienbestand im Ruhrgebiet oder in Ostdeutschland – außer Berlin – erfahren. Kaum profitiert haben außerdem die Besitzer von Immobilien in ländlichen Regionen. 

  • Einer kleinen Gruppe gehört mehr als die Hälfte. Zur Grafik

Die Verlierer des Booms

Im Sog der steigenden Immobilienpreise legen auch die Mieten in den Metropolen und ihrem Umland zu, was vor allem Haushalten in unteren und mittleren Einkommensschichten zusetzt. Die Analysen von Baldenius, Schularick und Kohl zeigen, dass die Mieterhöhungen des vergangenen Jahrzehnts in Stadtteilen mit vormals geringem oder mittlerem Mietniveau besonders hoch ausfielen – Stichwort Gentrifizierung. Hier wird die ansässige Bevölkerung nach und nach von zahlungskräftigeren Mietern verdrängt. 

Wie sehr sich die Lage am Wohnungsmarkt für Menschen mit geringen Einkommen verschlechtert hat, lässt sich daran ablesen, welchen Anteil die Miete an den Gesamtausgaben eines Haushalts hat. Das nach Einkommenshöhe unterste Fünftel der Haushalte gab in den 1990er-Jahren etwa 25 Prozent seines Geldes für die Miete aus, zeigen die Forscher. Inzwischen sind es fast 40 Prozent.

Die Politik müsse etwas gegen den Wohnungsmangel unternehmen, schreiben die Wissenschaftler. Dazu sei ein groß angelegtes öffentliches Wohnungsbauprogramm unerlässlich. Denn „gerade in den Ballungsgebieten ist es zweifelhaft, ob der Markt in kurzer Zeit ausreichend neuen Wohnraum bauen kann und wird. Die Erschließung von neuem Bauland, die Verkehrsanbindung und Bereitstellung anderer Infrastruktur verlangt nach einer koordinierenden öffentlichen Hand“. Die Autoren erinnern daran, dass es in der Nachkriegszeit in Westdeutschland unter staatlicher Ägide – Wohnraumbewirtschaftung, sozialer Wohnungsbau, Förderung gemeinnütziger Bautätigkeit – gelang, 600 000 Wohnungen pro Jahr zu bauen – während es heute gerade einmal 280 000 in ganz Deutschland sind. Werde im kommenden Jahrzehnt nicht mehr gebaut als heute, gebe es 2030 rund eine Million Wohnungen zu wenig, prognostizieren sie.

  • Haushalte mit geringen Einkommen müssen fast 40 Prozent davon für die Miete ausgeben. Das obere Fünftel zahlt gerade einmal 14 Prozent. Zur Grafik
  • Der Bauboom der Nachkriegszeit ist lange vorbei. Zur Grafik

Deutschland brauche „dringend einen neuen politischen Konsens, dass der Wohnungsbau zu den herausragenden wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten des nächsten Jahrzehnts gehört“. Öffentlicher Wohnungsbau würde nicht nur die soziale Lage entschärfen, sondern könnte für den Staat dank seiner derzeit extrem günstigen Finanzierungssituation – für zehnjährige Kredite braucht er im Moment keine Zinsen zu zahlen – auch wirtschaftlich profitabel sein. Hinzu kommen die geminderten volkswirtschaftlichen Kosten, die daraus entstehen, dass es dort, wo offene Stellen zu besetzen wären, oft an bezahlbarem Wohnraum fehlt. 

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