Quelle: HBS
Böckler ImpulsMindestlohn: Im Westen deutlich mehr als acht Euro
20 von 27 Mitgliedsstaaten der EU haben einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. In elf Ländern wurde er zum Jahresbeginn erneut angehoben.
In den westeuropäischen Euro-Ländern müssen nun pro Stunde mindestens 8,40 Euro gezahlt werden, in Luxemburg sind es sogar wenigstens 9,49 Euro. Der Mindestlohn in Großbritannien liegt bei umgerechnet 7,20 Euro. "Allerdings ist der Wert des britischen Mindestlohns aufgrund der starken Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro deutlich unterzeichnet", erklärt Thorsten Schulten, Experte für europäische Tarifpolitik und Autor des neuen WSI-Mindestlohnberichts.
In den alten EU-Staaten in Südeuropa betragen die untersten erlaubten Stundenlöhne jetzt zwischen 2,71 Euro und 4,05 Euro. Auf ähnlichem Niveau bewegt sich das neue EU-Mitglied Slowenien. In den übrigen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne mit Stundensätzen von 71 Cent bis 1,93 Euro deutlich niedriger. Allerdings stiegen sie in den meisten dieser Länder zuletzt deutlich schneller als in der alten EU. Zudem spiegelt das Niveau der Mindestlöhne zum Teil die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten wider, so Schulten. Legt man Kaufkraftparitäten zugrunde, reduziert sich das Verhältnis zwischen dem niedrigsten und dem höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU von 1:13 auf etwa 1:6.
Die Notwendigkeit von Mindestlöhnen ist in den meisten EU-Ländern unumstritten
Zwischen 2000 und 2008 stiegen die Lohnuntergrenzen in den 20 Mindestlohn-Ländern deutlich an: nominal pro Jahr um durchschnittlich knapp neun Prozent. In den Ländern der alten EU betrug der Anstieg im Jahresmittel gut vier Prozent, in den Beitrittsstaaten knapp 13 Prozent. Inflationsbereinigt wuchsen die Mindestlöhne um durchschnittlich 4,4 Prozent pro Jahr. Schultens Analyse ergibt, dass sich die Lohnuntergrenzen in vielen EU-Ländern stärker erhöhten als die Durchschnittslöhne. "Damit wurde vermieden, dass Beschäftigte im Niedriglohnbereich den Anschluss an die allgemeine Lohnentwicklung verlieren", sagt der Wissenschaftler.
Allerdings hat die Wirtschaftskrise auch in der Mindestlohn-Statistik erste Spuren hinterlassen. Im Durchschnitt der 20 Mindestlohn-Länder wuchs das Lohnminimum 2008 nominal noch um 5,7 Prozent. Real sanken die Mindestlöhne wegen der starken Preissteigerung im ersten Halbjahr zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende - um 0,3 Prozent.
Angesichts von Finanzmarktkrise und Rezession erwartet Schulten verstärkte Debatten um weitere Anhebungen der Lohnuntergrenzen. So plädierten Gewerkschaften beispielsweise in Großbritannien, Irland oder Estland für merkliche Erhöhungen, um im Konjunkturabschwung die Kaufkraft zu stabilisieren. Dagegen drängten Arbeitgebervertreter darauf, die Mindestlöhne einzufrieren. Insgesamt verfüge der gesetzliche Mindestlohn aber "über eine große gesellschaftliche Akzeptanz, die auch darin zum Ausdruck kommt, dass in keinem europäischen Land ernsthaft dessen Abschaffung erwogen oder auch nur von einer relevanten politischen oder sozialen Kraft gefordert wird", beobachtet der Forscher.
Bei der politischen Auseinandersetzung um Mindestlohn-Erhöhungen verzeichnet der WSI-Bericht für die letzte Zeit unterschiedliche Tendenzen: Während die konservative Regierung in Tschechien den Mindestlohn seit 2007 nicht mehr erhöht hat, blieb in Frankreich die automatische Kopplung der Mindestlohnzuwächse an die Preissteigerung trotz Kritik von Arbeitgebern bestehen. Und in Rumänien, Spanien und der Slowakei haben sich die sozialdemokratischen Regierungen darauf festgelegt, das Mindestlohn-Niveau in den kommenden Jahren kontinuierlich anzuheben.
Thorsten Schulten: WSI-Mindestlohnbericht 2009, in: WSI-Mitteilungen 3/2009