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Homeoffice: Vorurteile abgebaut Böckler Impuls

Gleichstellung: Homeoffice: Vorurteile abgebaut

Ausgabe 09/2022

Gerade für Mütter war Homeoffice vor Corona oft keine Option – weil der Verdacht im Raum stand, Arbeit von daheim gehe zulasten des Arbeitgebers. Das hat sich geändert.

Vor der Pandemie war es in Deutschland eher unüblich, im Homeoffice zu arbeiten. Lediglich zwölf Prozent der Beschäftigten taten dies regelmäßig. Oft waren es Männer in gut bezahlten Jobs mit hoher Arbeitsbelastung, die gelegentlich einen Tag zu Hause blieben, um ungestört Rückstände aufzuarbeiten. Für Frauen mit Kindern, die vor allem ein Interesse an einer besseren Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Pflichten gehabt hätten, bestand dagegen häufig keine Möglichkeit, den Job daheim zu erledigen. Doch Corona hat die Lage verändert und „kulturelle Barrieren“ eingerissen, die dem Homeoffice im Weg standen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen vom WSI, dem Wissenschaftszentrum Berlin, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg sowie den Universitäten Bielefeld und Hamburg. Sie haben anhand eines IAB-Datensatzes, der an die 7000 Beschäftigte abdeckt, analysiert, welche Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Elternschaft und Erwerbsarbeit im Homeoffice vor und nach der ersten Corona-Welle bestanden. 

Im Frühsommer 2020 blieb mehr als ein Viertel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer komplett zu Hause. Und mehr als ein Drittel arbeitete zumindest zeitweise daheim. Damit wurde das vorhandene Homeoffice-Potenzial Studien zufolge beinahe völlig ausgeschöpft, schreiben die Forscherinnen. Mit sinkenden Infektionszahlen ging die ­Homeoffice-Nutzung im Laufe des Sommers wieder zurück, wenn auch nicht mehr auf das Vorkrisenniveau. Was im Untersuchungszeitraum vor allem abnahm, waren die Unterschiede zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen: Die zuvor beobachteten Differenzen zwischen Frauen und Männern mit und ohne Kinder sind kleiner geworden. 

Besonders deutlich zeigt sich die Veränderung bei den Müttern, die nicht von zu Hause arbeiten konnten, weil es der Arbeitgeber nicht erlaubte. Das waren vor Corona 21 Prozent, im August 2020 aber nur noch 13 Prozent. Ebenso ging die Furcht vor einem „Flexibilitäts-Stigma“ zurück – also die Angst, mit dem Fernbleiben vom Büroarbeitsplatz eine geringere Leistungsbereitschaft zu signalisieren. 

Die Wissenschaftlerinnen schließen aus ihren Beobachtungen, die Pandemie habe Präsenzkultur und geschlechtsspezifische Barrieren im Arbeitsleben aufgebrochen. Dies geschah zunächst unter gesellschaftlichem und politischem Druck. Aber die veränderten Einstellungen blieben auch nach Lockerung der Corona-Bestimmungen bestehen. „Die vor der Pandemie sichtbaren, an Geschlecht und Elternschaft gebundenen Muster kamen nicht zurück.“ Insbesondere die zuvor offenbar von vielen Arbeitgebern gehegte Befürchtung, gerade bei Müttern würde im Homeoffice die Arbeitsleistung unter den familiären Verpflichtungen leiden, habe sich in der Praxis anscheinend nicht bestätigt, betont WSI-Forscherin Yvonne Lott. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass sich auch bei Männern die Motive für die Arbeit im Homeoffice geändert haben. Sie blieben nun häufiger zu Hause, um Arbeit und Familienleben besser unter einen Hut zu bekommen, nicht nur, um mehr Ruhe für große Arbeitsmengen zu haben. 

Allerdings weisen die Forscherinnen darauf hin, dass längst nicht alle Geschlechterunterschiede in Sachen Homeoffice beseitigt seien. Denn Frauen haben weiterhin überdurchschnittlich oft Jobs, die sich nun einmal nicht aus der Ferne erledigen lassen. Zudem arbeiten sie häufig in wirtschaftlich eher schwachen Sektoren, in denen die Arbeitgeber möglicherweise die nötigen Investitionen in eine Homeoffice-taugliche Infrastruktur scheuen.

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