: Homeoffice stärkt tradierte Arbeitsteilung
Wer zu Hause arbeitet, bringt mehr Zeit für Sorgearbeit auf. Das gilt für Frauen stärker als für Männer. Es braucht neue Regeln für die Aufteilung der Sorgearbeit.
Für Frauen stellt die Arbeit im Homeoffice oft eine doppelte Belastung dar. Sie engagieren sich zeitlich ohnehin schon stärker für Familie und Haushalt als Männer. Wenn beide Partner im Homeoffice arbeiten, wird die Aufteilung zwischen den Geschlechtern aber noch ungleicher. Das zeigt eine Expertise für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, die Yvonne Lott vom WSI zusammen mit Claire Samtleben und Kai-Uwe Müller vom DIW verfasst hat. Die Analyse basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus der Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie. Die Ergebnisse werden durch eine aktuelle Erwerbstätigenbefragung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung bestätigt, die WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch ausgewertet hat.
Frauen leisten in Paarhaushalten im langjährigen Schnitt etwa zwei Drittel der Sorgearbeit, Männer ein Drittel. Wenn sie beginnen, im Homeoffice zu arbeiten, weiten sowohl Frauen als auch Männer ihre Sorgearbeit aus. Wer zu Hause arbeitet, hat also wenig verwunderlich eher die Möglichkeit, sich neben dem Job um die Familie zu kümmern. Allerdings ist der Effekt bei Frauen stärker ausgeprägt: Sie dehnen ihre Betreuungs- und Haushaltstätigkeiten um etwa 1,7 Stunden pro Woche aus, Männer um 0,6 Stunden. Frauen nutzen die neuen Freiräume offenbar stärker dazu, sich für Haushalt und Familie einzubringen. Männer neigen eher dazu, mehr Überstunden zu leisten. Dadurch verändert sich der sogenannte Gender-Care-Share, also der Anteil an der gesamten Sorgearbeit, zum Nachteil der Frauen: Für Haushalte mit Frauen, die im Home- office arbeiten, stellen die Wissenschaftlerinnen eine Erhöhung um 1,2 Prozentpunkte fest. Nur wenn allein der Mann ins Homeoffice wechselt, reduziert sich der Gender-Care-Share zugunsten der Frauen. Doch auch in diesem Fall leisten die Frauen absolut betrachtet immer noch deutlich mehr Sorgearbeit als die Männer.
Besonders viel zusätzliche Zeit investieren Frauen in Sorgearbeit, wenn beide Partner gleichzeitig anfangen, im Homeoffice zu arbeiten, und zwar laut SOEP durchschnittlich 2,6 Stunden. Bei Männern ist keine signifikante Änderung feststellbar. In der Coronakrise dürfte diese Konstellation deutlich häufiger sein als zuvor, weil zahlreiche Beschäftigte ins Homeoffice wechselten, während Kitas und Schulen geschlossen sind oder nur eingeschränkte Betreuungsmöglichkeiten anbieten können. Die Diskrepanz zeige sich auch in der aktuellen Befragung von Erwerbstätigen deutlich, betont die Soziologin Kohlrausch. Frauen und Männer, die im April 2020 zu Hause arbeiteten, waren sich zwar nicht immer einig, wer die Sorgearbeit in ihrer Familie hauptsächlich übernimmt. Doch klar ist: Mit maximal 15 Prozent der Fälle waren die Väter deutlich weniger im Einsatz als die Mütter, die in 40 bis 60 Prozent der untersuchten Haushalte den Hauptanteil übernahmen.
Für beide Geschlechter gilt: Hochqualifizierte und Besserverdienende sind eher in der Lage, zu Hause zu arbeiten, und nutzen diese Möglichkeit auch stärker. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern in höheren beruflichen Positionen zeigt sich abweichend vom allgemeinen Trend , dass sie mit Homeoffice im Schnitt nicht mehr, sondern weniger Zeit für Sorgearbeit aufbringen.
Die Forscherinnen halten fest: Männer nutzen Homeoffice und flexibles Arbeiten nicht im gleichen Maße wie Frauen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dadurch könne sich eine traditionelle Arbeitsteilung sogar verstärken. Um dem entgegenzuwirken, müssten die betrieblichen und staatlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Beschäftigte, die familiären Verpflichtungen nachkommen und dafür Flexibilität brauchen, sollten keine Karrierenachteile zu befürchten haben. Für Beschäftigte im Homeoffice müssten die gleichen, klaren Beurteilungskriterien gelten wie für jene im Betrieb. Letztlich müssten betriebliche Homeoffice-Möglichkeiten der gesamten Belegschaft offenstehen, nicht nur wenigen Privilegierten. Auf staatlicher Ebene sei ein Recht auf Homeoffice sinnvoll. Außerdem sollte der Gesetzgeber Anreize für eine traditionelle Arbeitsteilung in Paaren wie beispielsweise das Ehegattensplitting abschaffen. Homeoffice könne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr zugutekommen wenn die Bedingungen stimmen, so die Wissenschaftlerinnen.
Claire Samtleben, Kai-Uwe Müller, Yvonne Lott: Auswirkungen der Ort-Zeit-Flexibilisierung von Erwerbsarbeit auf informelle Sorgearbeit im Zuge der Digitalisierung, Expertise im Rahmen des Dritten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung, Februar 2020
Bettina Kohlrausch, Aline Zucco: Corona trifft Frauen doppelt weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit (pdf), WSI Policy Brief Nr. 40, Mai 2020