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HBS Böckler Impuls

Investivlohn: Höheres Risiko, zweifelhafter Nutzen

Ausgabe 09/2008

Produktivere Betriebe, mehr Einkommen und Vermögen für die Beschäftigten: Das sind die Ziele der geplanten Steuerförderung von Arbeitnehmerbeteiligungen an Gewinn und Kapital. Der ­Wirtschaftsprofessor Jan Priewe hat Zweifel.

Durch Beteiligungen am Gewinn und Kapital des arbeitgebenden Unternehmens sollen Arbeitnehmer mehr vom Kuchen abbekommen - mehr als das, was sie als reine Lohnempfänger erhalten könnten. Jan Priewe, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, warnt davor, den Regierungsentwurf zu überschätzen. Nach seiner Analyse ist es keineswegs sicher, dass dadurch die Produktivität der Unternehmen steigt und es zu einer Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer kommt. Für eine steuerliche Förderung materieller Beteiligung würden öffentliche Mittel eingesetzt, obwohl dafür keine Notwendigkeit besteht.
 
Verglichen mit vielen anderen Ländern sind besonders Kapitalbeteiligungen von Arbeitnehmern in Deutschland selten. Priewe sieht  jedoch keinen "deutschen Nachholbedarf", für die geringe Verbreitung hierzulande gebe es gute Gründe. So seien Beschäftigte hierzulande dank der gesetzlichen Rentenversicherung im Alter bislang relativ gut versorgt gewesen. Sie sind weniger auf betriebliche Formen der kapitalgedeckten Altersvorsorge angewiesen als Arbeitnehmer in Ländern, in den Mitarbeiterbeteiligungen - vor allem zur Altersvorsorge - stärker verbreitet sind. Auch die hiesige Wirtschaftsstruktur stehe Beteiligungsmodellen im Wege: Traditionell gibt es in Deutschland viele Personengesellschaften, meist kleine und mittlere Betriebe. Hier seien Beteiligungen am Unternehmenskapital gesellschaftsrechtlich schwer umzusetzen. Diese organisatorischen Probleme löse der Vorschlag der Bundesregierung nicht, sagt der Wirtschaftsforscher.

Die ökonomischen Argumente für Gewinn- und Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer stuft Priewe nicht als stichhaltig ein. Ob Beteiligungsmodelle die Motivation der Mitarbeiter und in der Folge die Produktivität der Betreibe erhöhen, sei trotz "dutzender empirischer Studien" letztlich ungeklärt. Zwar stellen die meisten Untersuchungen einen positiven Zusammenhang zwischen finanzieller Arbeitnehmerbeteiligung und Produktivität fest. Doch ob das Eine tatsächlich eine Folge des Anderen ist, sei auf Basis des aktuellen Forschungsstandes nicht eindeutig zu beantworten. Der Forscher weist darauf hin, dass sich Produktivitätssteigerungen besser durch andere Maßnahmen erzielen lassen. Er betont vor allem die Bedeutung von Flächentarifverträgen: Sie spornten unterdurchschnittlich produktive Betriebe mit der "Lohnpeitsche" zu Innovationen an und belohnten überdurchschnittlich produktive mit Lohnkostenzuwächsen unterhalb des Produktivitätswachstums.

Ein weiteres, häufig genanntes Ziel von Gewinn- und Kapitalbeteiligungen ist eine gerechtere Verteilung der Unternehmenserträge und des Produktivvermögens. Wenn die Gewinne schneller wachsen als die Löhne, müssten Arbeitnehmer eben an den Gewinnen beteiligt werden, so das Argument. Priewe wendet ein: Ein echter Umverteilungseffekt könne nur erzielt werden, wenn Gewinnbeteiligungen zusätzlich zum Tariflohn gewährt würden. Dies sei aber häufig nicht im Interesse der Arbeitgeber. Ausnahmen seien lediglich einige sehr erfolgreiche Unternehmen wie beispielsweise Porsche. Die meisten Unternehmen wollten lieber gewinnabhängige Komponenten in die Tariflöhne einführen oder bestehende ausbauen, um die Entlohnung zu flexibilisieren. Letztlich hingen die Verteilungseffekte weiterhin von der Verhandlungsstärke der Tarifparteien ab.

Kapitalbeteiligungen am eigenen Unternehmen würden für Arbeitnehmer das Einkommens- und Vermögensrisiko erhöhen, weil Arbeitseinkommen und Kapitalanlage vom Wohl und Wehe desselben Unternehmens abhingen, warnt der Wissenschaftler. Selbst die geplante Förderung überbetrieblicher Beteiligungen könnte die Risikostreuung verschlechtern, wenn der Staat Arbeitnehmern statt der heute bevorzugten Anlagen in Wohneigentum, Lebensversicherungen und Altersvorsorge nun Aktienfonds schmackhaft macht. Gerade Arbeitnehmer aus den unteren Einkommensgruppen sollten ihre Anlagen auch nach Branchen differenzieren, um das Risiko zu minimieren, rät der Forscher. Im Durchschnitt der Jahre 1992 bis 2002 machte Produktivvermögen - Aktien, Fonds und andere Unternehmensbeteiligungen - nur etwa 15 Prozent des Vermögens privater Haushalte aus. Dies wertet Priewe als Beleg für das geringe Interesse der Arbeitnehmer am Besitz von Firmenanteilen. Attraktiv für Beschäftigte seien lediglich Anteile an einigen hochprofitablen Untenehmen mit relativ geringen Risiken.

Priewes Fazit: Materielle Beteiligungsmodelle können im Einzelfall für Betrieb und Arbeitnehmer vorteilhaft sein, für eine generelle steuerliche Bevorzugung reichten die Argumente jedoch nicht aus. Zwar sei es sinnvoll, gerade in den unteren Einkommensschichten Sparen und Vermögensbildung zu fördern - aber ohne den Schwerpunkt auf Risikokapital zu legen. Stattdessen sollte eher der Sparerfreibetrag für Bezieher kleinerer Einkommen erhöht werden.  

  • Die wenigen Unternehmen in Deutschland, die ihren Mitarbeitern Kapitalbeteiligungen anbieten, tun das mit sehr unterschiedlichen Modellen. Gemessen an der Zahl der beteiligten Beschäftigten haben Mitarbeiteraktien die größte Bedeutung. Zur Grafik

Jan Priewe: Vom Arbeitnehmer zum Mitunternehmer? Überschätzte Wirkungen von Kapital- und Gewinnbeteiligungen, in: WSI-Mitteilungen 12/2007

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