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HBS Böckler Impuls

Tarifpolitik: Höhere Löhne, Verteilungsbilanz negativ

Ausgabe 14/2007

Die europäische Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Doch zwei von drei EU-Ländern schöpfen den lohnpolitischen Verteilungsspielraum nicht aus - das schmälert die Nachfrage.

Im vergangenen Jahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt in den 27 EU-Staaten um 3 Prozent, für dieses Jahr erwartet die Europäische Kommission einen vergleichbaren Anstieg. Gute Voraussetzungen für höhere Saläre - und tatsächlich legten europaweit die Nominallöhne zu: Im Schnitt um 2,6 Prozent, wie Thorsten Schulten im Europäischen Tarifbericht des WSI zeigt. Die höchsten Steigerungen gab es in den Beitrittsstaaten, in Lettland war es gar ein Plus von 21,7 Prozent. In der alten EU nahmen die Nominallöhne in der Regel zwischen 2 und 4 Prozent zu; Deutschland bildete mit 1,1 Prozent gemeinsam mit Malta und den Niederlanden das Schlusslicht.

Die Lohnentwicklung in den meisten EU-Staaten blieb und bleibt hinter den ökonomischen Möglichkeiten zurück, stellt Tarifexperte Schulten fest. Der lohnpolitische Verteilungsspielraum aus Preis- und Produktivitätszuwachs wurde 2006 in 18 von 27 Ländern nicht ausgeschöpft - in zwei von drei EU-Ländern verschob sich damit das Verhältnis von Kapital- und Arbeitseinkommen zu Gunsten der Kapitalseite. Die Verteilungsbilanz - Lohnzuwachs minus Verteilungsspielraum - fiel vor allem in Deutschland negativ aus, so der Tarifbericht. Der kostenneutrale Spielraum betrug 4,1 Prozent - nur ein Viertel davon ging an die Arbeitnehmer.

Löhne reagieren üblicherweise mit Verzögerung auf einen Aufschwung, so Schulten. So dürfte sich 2007 die Lücke in der deutschen Verteilungsbilanz etwas verkleinern. Das WSI-Tarifarchiv hält aufgrund der bisherigen Tarifabschlüsse
einen Anstieg der Tariflöhne um 2,3 Prozent für denkbar, während die EU-Kommission für die Bundesrepublik einen Verteilungsspielraum von 3,6 Prozent prognostiziert. Doch für eine Verstetigung der guten Konjunktur sei eine zumindest ausgeglichene Verteilungsbilanz nötig, erklärt der Tarifexperte. Die Unternehmen in der EU zielen vor allem auf den europäischen Markt, sie benötigen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Schulten verweist zudem darauf, dass die deutsche Lohnzurückhaltung mittlerweile von französischen und US-Ökonomen stark kritisiert wird - als Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der Nachbarn zu erhöhen.

  • Arbeitnehmer in Deutschland mussten 2006 Reallohnverluste hinnehmen. Zur Grafik

Thorsten Schulten: Europäischer Tarifbericht des WSI 2006/2007, WSI-Mitteilungen 9/2007.

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