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HBS Böckler Impuls

Tarifpolitik: Haustarifverträge drücken Verdienste von Leiharbeitern

Ausgabe 19/2010

Wie wenig ein Leiharbeiter verdient, lässt sich allein anhand seines Stundenlohns oft nicht ermessen. Denn viele Leiharbeitsfirmen schrauben über Arbeitszeitregelungen oder verkürzte Kündigungsfristen ihre Kosten zusätzlich nach unten.

Die Diskussion um Dumpinglöhne in der Leiharbeitsbranche fokussiert in der Regel lediglich auf die gezahlten Stundenlöhne. Diese Perspektive reicht nach Einschätzung von Peter Schüren jedoch nicht aus. Der Juraprofessor an der Universität Münster beschäftigt sich seit Jahren mit der Leiharbeitsbranche. Dabei richtet er besonderes Augenmerk auf die Haustarifverträge, die viele Unternehmen mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) geschlossen haben. Darin verbinden sie "den niedrigsten am lokalen Markt durchsetzbaren Lohn mit anderen die Kosten senkenden Komponenten", zeigt Schürens Auswertung solcher Haustarife. Denn auch über eine niedrigere Eingruppierung oder eine Ausweitung der gesetzlich vorgesehenen Befristungszeiten lässt sich aus Unternehmenssicht Geld sparen - zum Nachteil der Beschäftigten.

Auf den ersten Blick haben sich die Tarifverhältnisse in der Zeitarbeit zuletzt deutlich angenähert: Mindestens 6,65 Euro die Stunde im Osten und 7,60 Euro im Westen verdient derzeit ein bei einem Leiharbeitsunternehmen Beschäftigter. ­Voraussetzung: Sein Arbeitgeber bezahlt ihn nach dem jüngsten Tarifabschluss zwischen der Tarifgemeinschaft der DGB-Gewerkschaften und den beiden großen Leiharbeitgeber-Organisationen Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen sowie Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen. 6,40 Euro die Stunde in Ostdeutschland und ebenfalls 7,60 Euro im Westen haben die CGZP sowie Einzelgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister vereinbart. Damit unterscheiden sich die Einstiegslöhne für Leiharbeiter nur noch im Osten, und auch dort nicht in einem spektakulären Ausmaß.

Allerdings hat die CGZP seit der Deregulierung der Leiharbeit im Jahr 2003 neben den geltenden Flächentarifverträgen eine Vielzahl an Haustarifverträgen abgeschlossen, stellte Arbeitsrechtler Schüren fest. Diese dienten ausschließlich der zusätzlichen Kostensenkung für die Unternehmen. Eine andere Funktion sei nicht erkennbar, sagt der Jurist. Jede Leiharbeitsfirma könne die vorhandenen Flächentarifverträge nutzen - auch ohne die Mitgliedschaft in einem der Arbeitgeberverbände. Wolle ein Unternehmen höhere Löhne als im Flächentarifvertrag vorgesehen zahlen, könne es übertarifliche Zuschläge gewähren. "Deshalb macht der Abschluss eines Haustarifs mit der CGZP nur Sinn, wenn das Unternehmen damit Kosten senken oder die Einsatzmöglichkeiten seiner Leiharbeiter optimieren kann."

Die Christen-Tarifgemeinschaft sei mangels Durchsetzungskraft gar nicht dazu in der Lage, auch nur einem einzigen Unternehmen in der Branche einen Haustarif aufzuzwingen. Dazu fehle es der CGZP beziehungsweise den an ihr beteiligten Gewerkschaften an Mitgliedern. Auch die Taktik, über die Betriebsräte potenzieller Entleihfirmen Druck auf die Verleiher auszuüben, falle wegen der geringen Mitgliederzahlen aus, analysiert Schüren.

Exemplarisch wertete der Jurist fünf CGZP-Haustarifverträge aus, die nach seiner Einschätzung von vielen Verleihunternehmen vor allem in Westdeutschland angewendet werden. Er griff dabei auf das Gemeinsame Tarifregister Berlin und Brandenburg zurück. Allein dieses lokale Register enthielt zum Stand der Erhebung - März 2008 - 53 Tarifverträge zur Leiharbeit. Der Juraprofessor identifizierte drei Regelungsbereiche, über die Leiharbeitsfirmen ihre Kosten senken können:

1. Vergütung. Die Stundenlöhne für die im Einsatz bei einem Entleihbetrieb verbrachte Zeit liegen in den Haustarifen in der Regel nicht mehr weit unter denen des CGZP-Flächentarifvertrags, so der Arbeitsrechtler. Noch 2010 fand er zwar einen Haustarifvertrag mit einem Stundenlohn von 5,54 Euro für die niedrigste Entgeltgruppe in Ostdeutschland in einer Region mit höherer Arbeitslosigkeit. Zumeist bereite der Verleiher die von ihm angestrebte Kostensenkung jedoch subtiler vor: So werde der im Flächentarif vorgesehene Lohnsprung nach sechs Monaten Beschäftigung durch eine Sonderklausel auf drei Jahre verzögert. Das laufe praktisch auf einen Ausschluss hinaus, weil nur eine Minderheit der Leiharbeiter so lange beschäftigt bleibt. Oder die niedrigste Lohngruppe 1 - Helfer - werde auf alle Anlerntätigkeiten ausgedehnt.

2. Arbeitszeit. Alle Tarifregelungen sehen laut Schüren ein hochflexibles Jahresarbeitszeitsystem vor. Es enthalte eine recht niedrige "regelmäßige" Wochenarbeitszeit, zum Beispiel 35 Stunden. Die tatsächlich zu leistende, zuschlagsfreie Arbeitszeit könne jedoch weit darüber liegen. Dadurch entstehe auf dem Arbeitszeitkonto schnell ein hohes Guthaben, das meist allein nach den Interessen des Arbeitgebers eingesetzt werde. Abgebaut werde es dann oft in verleihfreien Zeiten oder nach Ausspruch der Kündigung. "Sinn des Kontos ist neben der optimalen Orientierung am Bedarf der Entleiher der möglichst vollständige Ausschluss von bezahlten Nichteinsatzzeiten."

Die Mitbestimmung eines in der Verleihfirma gewählten Betriebsrats werde zudem ausgehebelt, wenn die Arbeitszeit komplett tariflich geregelt sei.

3. Bestandsschutz. Der Bestandsschutz des Kündigungsschutzgesetzes nach sechs Monaten Beschäftigung lasse sich über einen Tarifvertrag nicht verwässern, so der Jurist. "Wer den richtigen Tarifpartner hat", der könne sich jedoch von den gesetzlichen Bestimmungen unabhängig machen: Zu diesem Zweck würden "optimal" verkürzte Kündigungsfristen für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses mit einer Ausweitung der sachgrundlosen Befristung kombiniert.

Der "christliche" Flächentarif sähe innerhalb der ersten Wochen und Monate bereits Kündigungsfristen unterhalb der gesetzlich vorgesehenen zwei Wochen vor. Einige Haustarifverträge verrechneten die Zeit nach Ausspruch der Kündigung mit dem Arbeitszeitguthaben und rechneten Urlaub an. So entstünden für den Arbeitgeber keine zusätzlichen Kosten.

Bei der Befristung nutzten die Haustarife ebenfalls die Möglichkeit, die gesetzlichen Bestimmungen zum Nachteil der Arbeitnehmer auszuweiten, stellt der Wissenschaftler fest. So erhöhten einige Tarifverträge die Zahl der Befristungen und die Höchstbefristungsdauer.

Auch der Kündigungsschutz von Mitgliedern der Wahlausschüsse, gewählten Betriebsräten und Schwangeren sei über solche Regelungen ausgeschlossen. "Das hat eine beträchtliche Disziplinierungs- und Kostensenkungsfunktion."

Die CGZP erfülle mit Ihren Haustarifverträgen in der Leiharbeitsbranche "besondere" Arbeitgeberwünsche, fasst Schüren seine Auswertung zusammen. Denn die Haustarife verschlechterten den gesetzlichen, aber tariflich abweichend regelbaren Arbeitnehmerschutz noch über den für die Arbeitgeber bereits günstigen "christlichen" Flächentarif hinaus. Welche Gegenleistung die CGZP erhalte, sei unklar. "Nur eines ist sicher: Bessere Arbeitsbedingungen für die tarifgebundenen Arbeitnehmer sind es nicht."

Derzeit beschäftigt sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) damit, ob die CGZP überhaupt tariffähig ist. Das Arbeits- und das Landesgericht Berlin haben das in erster und zweiter Instanz verneint. Das BAG hat seinen Beschluss für den 14. Dezember angekündigt.

  • Leiharbeiter haben andere Probleme als Festangestellte - aber auch sie suchen Hilfe bei Betriebsräten. Zur Grafik
  • Traditionell diente Leiharbeit dazu, kurzfristige Personalengpässe zu beheben. In einigen Betrieben sind Leiharbeiter heute dauerhafter Bestandteil der Personalplanung. Zur Grafik
  • Seit ihrer Deregulierung im Jahr 2003 hat die Leiharbeit stark zugenommen – und ist seit dem Ende der Wirtschaftskrise voraussichtlich bereits wieder auf Vorkrisenniveau. Zur Grafik

Peter Schüren: Unterbietungs­konkurrenz in der Leiharbeit - aktueller Stand und Ausblick, Vortrag auf der WSI-Fachtagung "Rechtsprobleme der tariflichen Unterbietungs­konkurrenz" am 22. Oktober 2010; ders.: Tarifunfähigkeit der CGZP wegen Missbrauchs der tariflichen Normsetzungsbefugnis in der Leiharbeit, in: Arbeit und Recht 7-8/2008.

 

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