zurück
HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Hartz-Reformen: Hauptziel verfehlt

Ausgabe 06/2011

Die Jobzuwächse vor der Finanzkrise und das aktuell hohe Beschäftigungsniveau sind keine Folge der rot-grünen Arbeitsmarktreformen.

Was haben die Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003 und 2004 bewirkt? Ist es gelungen, mehr Erwerbslosen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen? Diese Fragen beschäftigen Ökonomen wie Politiker nun seit mehreren Jahren. Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des IMK, hat in seinem jüngsten Buch zusammengefasst, was sich aus ökonomischer Sicht bislang dazu sagen lässt. Sein Fazit lautet: „Schaut man sich den zentralen Faktor Beschäftigung an, ist die Wirkung der Reformen als marginal zu bewerten.“

Valide Aussagen über die Effekte der Ausweitung unsicherer Beschäftigungsformen, der Neuorganisation der Bundesagentur für Arbeit und der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe lassen sich Horn zufolge nicht durch einen einfachen Vergleich der Arbeitslosenquoten vor und nach den Reformen treffen. Zum einen ist der Faktor mit dem stärksten Einfluss auf das Geschehen am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen: die Konjunktur. Deren Anteil muss quasi herausgerechnet werden. Nur so lässt sich bestimmen, welche Veränderungen wirklich auf die Reformen zurückgehen.

Zum anderen weist der Forscher darauf hin, dass sich Beschäftigungsstand und Arbeitslosenquote nicht immer exakt spiegelbildlich verhalten. So kann die Zahl der registrierten Erwerbslosen sinken, ohne dass mehr Menschen Arbeit finden. Der Wissenschaftler betrachtet daher beide Größen getrennt.

Beschäftigung: Im Aufschwung gibt es weniger neue Stellen, aber längere Arbeitszeiten. Um die Konjunkturentwicklung zu berücksichtigen, vergleicht Horn die erste Aufschwungphase nach den Hartz-Reformen mit der letzten Aufschwungphase davor. Wenn ähnliche Zuwächse des Bruttoinlandsprodukts (BIP) heutzutage zu einem größeren Beschäftigungsplus führen würden als vorher, spräche das für die Wirksamkeit der Arbeitsmarktreformen. Wenn nicht, können die Hartz-Gesetze nicht viel ausgerichtet haben.

Es bietet sich an, den Aufschwung kurz vor der Jahrtausendwende mit den ersten elf Quartalen der Wachstumsphase nach den Reformen zu vergleichen, so der Ökonom. Der zweite Aufschwung war nach elf Quartalen zwar noch nicht zuende, aber – was entscheidend ist – das BIP stieg in beiden Zeitabschnitten gleich stark. Die Gegenüberstellung zeigt: Vor den Hartz-Reformen hat die Zahl der Beschäftigten im Aufschwung stärker zugenommen als danach. Anders verhält es sich mit dem Arbeitsvolumen in Stunden; das stieg nach den Reformen stärker.

Den großen Zuwachs beim Arbeitsvolumen führt Horn vor allem auf längere Arbeitszeiten der bereits Beschäftigten zurück. Dies sei eine Folge der so genannten „internen Flexibilisierung“, der in letzten Jahren in vielen Unternehmen eingeführten Möglichkeiten, die Arbeitszeit stärker an die Auftragslage anzupassen, etwa durch Arbeitszeitkonten. Das Ziel der Arbeitsmarktreformen sei es jedoch gewesen, vor allem Langzeitarbeitslosen neue Jobs zu verschaffen, betont der Wissenschaftler. Also hätte die Zahl der Beschäftigten stärker als früher steigen müssen, nicht die Zahl der Arbeitsstunden. „Genau das ist aber nicht geschehen.“

Aber könnte es sein, dass der zweite Aufschwung gerade wegen der Reformen insgesamt länger dauerte und damit am Ende doch mehr Stellen schuf? Dann hätten die Reformen auf irgendeine Weise dazu beitragen müssen, dass die Unternehmen über einen längeren Zeitraum mehr Produkte verkaufen konnten, erläutert Horn. Durch kaufkräftigere Verbraucher im Inland könne dies nicht geschehen sein. Denn die Hartz-Reformen hätten den Lohndruck erhöht und die Einkommensentwicklung geschwächt. Die so erzeugte Nachfrageschwäche erkläre auch den Beschäftigungsrückgang zu Beginn des Aufschwungs. Der Druck auf die Löhne hat nach Horn zwar die Angebotsbedingungen verbessert: Unternehmen konnten ihre Erzeugnisse günstig produzieren und verkaufen. Davon habe vor allem die Exportwirtschaft profitiert. Weil die Mehrheit der Unternehmen jedoch für den Binnenmarkt produziert, geht Horn allerdings davon aus, dass der positive Angebotseffekt den negativen Nachfrageeffekt nicht aufwiegen konnte. Daher hätten „die Arbeitsmarktreformen keinen spürbaren Einfluss auf die Dauer des Aufschwungs“ gehabt.

Arbeitslosigkeit: Wer gerade erst den Job verloren hat, findet schneller einen neuen. Im Gegensatz zur Beschäftigung entwickelte sich die Zahl der registrierten Arbeitslosen nach den Hartz-Reformen deutlich besser als im Aufschwung zuvor. Hier habe das neue ­Reglement Wirkung gezeigt, schreibt Horn: Die Mittel der Arbeitsagentur würden heute effizienter eingesetzt, die Arbeitslosen intensiver betreut und der erschwerte Zugang zu Unterstützungsleistungen für Arbeitslose habe die Dauer der Erwerbslosigkeit in vielen Fällen reduziert. Allerdings schränkt Horn ein: Der vergleichsweise starke Rückgang der Arbeitslosigkeit sei vor allem „jenen zu verdanken, die ohnehin relativ gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatten. Sie fanden infolge des gestiegenen Drucks nun schneller eine Beschäftigung.“ Aber: Die Langzeitarbeitslosigkeit – deren Bekämpfung das vorrangige Ziel der Reformen war – ging nicht stärker zurück als in früheren Zeiten.

Zwei weitere Punkte relativieren die Bedeutung des sozialstaatlichen Kurswechsels für den Rückgang der Erwerbslosenquote laut Horn. Zum einen könne es sein, dass sich heute einfach weniger Menschen ohne Job arbeitslos melden, etwa weil sie nach den Hartz-Reformen ohnehin keinen Anspruch auf Leistungen hätten. Zum anderen erleichtert die demografische Entwicklung den Abbau der Arbeitslosigkeit. Es verlassen mehr Ältere den Arbeitsmarkt als Junge hinzukommen, die Erwerbsneigung von Frauen nehme nicht mehr weiter zu und die Zuwanderung sei „fast vollständig versiegt“. Der Ökonom fasst zusammen: „Der sichtbare Erfolg beim Abbau der Arbeitslosigkeit ist also wahrlich kein überragender und hat mehr als einen Vater.“

Schließlich verweist Horn auf einen internationalen Vergleich: Nach Berechnungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist die strukturelle, das heißt konjunkturunabhängige, Arbeitslosenquote im Anschluss an die Reformen zurückgegangen. Die Sachverständigen werten das als Indiz für den Erfolg der Reformpolitik. Allerdings stellen Analysen des IMK diese Sicht infrage. Das Institut hat die gleiche Rechentechnik auf Wirtschaftsdaten anderer Euro-Staaten angewandt und festgestellt: In Ländern wie Spanien und Italien ging die strukturelle Arbeitslosigkeit vor der jüngsten Krise noch stärker zurück – ohne vergleichbare Arbeitsmarktreformen.

  • Die Zahl der Quote der registrierten Arbeitslosen sank nach den Hartz Reformen etwas stärker als im Aufschwung zuvor – nachdem sie zunächst deutlich angestiegen war. Zur Grafik
  • Nach den Hartz-Reformen sind im Aufschwung nicht mehr, sondern weniger neue Stellen entstanden. Lediglich das Arbeitsvolumen in Stunden stieg nach den Reformen stärker als früher. Zur Grafik
  • Demografische Veränderungen erleichtern den Abbau der Arbeitslosigkeit. Zur Grafik

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen