Quelle: HBS
Böckler ImpulsUnternehmensbesteuerung: Harmonie auf zwei Ebenen
Null Prozent Steuern auf einbehaltene Gewinne - den absoluten Schlusspunkt im Steuersenkungswettbewerb hat Estland schon längst erreicht. Sieben Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben 2005 die Steuersätze für Unternehmen beschnitten, darunter Deutschlands direkte Nachbarn, die Niederlande und Österreich. Bald könnten einige Länder ihre Steuern so weit heruntergefahren haben, dass sie nicht mehr genügend Geld für Straßen, öffentliche Verkehrsmittel oder Bildung hätten. Der Ausweg für alle: eine harmonisierte Unternehmensbesteuerung.
Wer die steuerliche Belastung von Firmen innerhalb der EU vergleichen möchte, hat es schwer. Zwar lassen sich die Körperschaftsteuersätze der inzwischen 25 Mitgliedsstaaten zweifelsfrei feststellen. Doch wie viel des Einkommens und Vermögens eines Unternehmens zählt, um die Steuerschuld zu ermitteln? Denn genau so unterschiedlich wie die Sätze - zwischen 0 und 35,4 Prozent - sind auch die so genannten Bemessungsgrundlagen.
Finanzexperten behelfen sich deshalb unter anderem mit den effektiven Durchschnittssteuersätzen (EATR). Dabei ermitteln sie vorausschauend die Steuerbelastung für ein hypothetisches Investitionsprojekt, das Rendite abwerfen würde. Auch diese differieren jedoch noch stark. Allerdings bilden die EATR auch nicht alle Regelungen ab, die Einfluss auf die steuerliche Bemessungsgrundlage haben. Ein Beispiel hierfür sind Verlustvor- und -rückträge.
Niedrige Unternehmensteuern locken Investoren an, lautet die Devise. Und selbst wenn ein Konzern nicht ganz ins Ausland abwandert, kann er zumindest seine Gewinne und Verluste verschieben. Multinationale Unternehmen können sich in einem Hochsteuerland wie der Bundesrepublik künstlich arm rechnen, indem sie ihre Gewinne zum Beispiel bei der Tochterfirma in Irland mit lediglich 12,5 Prozent Körperschaftsteuer anfallen lassen.
Der EU-Beitritt der acht osteuropäischen Staaten plus Malta und Zypern mit tendenziell niedrigen Körperschaftsteuersätzen hat den grassierenden Steuersenkungswettbewerb einen Zahn zulegen lassen: So wollen beispielsweise die Niederlande ihre Unternehmensteuer von 2004 bis 2007 um insgesamt 4,5 Prozentpunkte senken. Österreich säbelte zum Anfang des laufenden Jahres auf einen Schlag 9 Prozentpunkte weg. Deutschland will jetzt nachziehen: Die Bundesregierung hat sich auf dem Jobgipfel mit der Opposition auf eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 19 Prozent geeinigt.
"Zwar ist bislang eine Erosion des Körperschaftsteueraufkommens noch nicht eindeutig feststellbar, unter anderem auch deshalb, weil in vielen Ländern die Steuersatzsenkungen ganz oder teilweise durch Verbreiterungen der steuerlichen Bemessungsgrundlage ausgeglichen worden sind", urteilt Dr. Margit Schratzenstaller. Die Wiener Forscherin glaubt jedoch, dass diese Kompensationsmöglichkeiten bald ausgeschöpft sein werden. Auf Dauer würden weitere Steuersenkungen nur zu Steuerausfällen führen. Gerade die Beitrittsländer hätten dann Schwierigkeiten, ihre öffentlichen Leistungen weiter auszubauen, um ihre Standortdefizite langfristig ausgleichen zu können.
Schratzenstaller spricht sich deshalb für eine Harmonisierung der europäischen Unternehmensbesteuerung aus: "Eine verbindliche harmonisierte Steuerbemessungsgrundlage, die die nationalen Regelungen zur Ermittlung des steuerlichen Gewinns ersetzt, sollte auf jeden Fall eingeführt werden." So würde das europäische Unternehmenssteuerrecht auch erheblich vereinfacht und transparenter gemacht. Zumindest zeitweise hält sie auch die Einführung von Mindeststeuersätzen für sinnvoll - denn der Unterbietungswettbewerb von Seiten der Beitrittsländer werde sich in den nächsten Jahren verschärfen. Deshalb schlägt sie einen zweistufigen Mindeststeuersatz vor - einen höheren Satz für die alten und einen niedrigeren Satz für die neuen Mitgliedsländer. "Diese Regelung könnte so lange beibehalten werden, bis die Beitrittsländer ihren Rückstand bezüglich öffentlicher unternehmensbezogener Leistungen aufgeholt haben."
Margit Schratzenstaller: Aktuelle Entwicklungen der Unternehmensbesteuerung im europäischen Kontext; in: WSI-Mitteilungen 12/2004