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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Gute Jobs, engagierte Bürger

Ausgabe 12/2014

Von Autonomie am Arbeitsplatz profitiert nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Gesellschaft: Das soziale Engagement nimmt zu.

Ob Beschäftigte nur Anweisungen empfangen oder ihren Arbeitsalltag selbst mitbestimmen dürfen, hat erhebliche psychische und betriebswirtschaftliche Auswirkungen: Laut empirischen Studien erhöhe Arbeitsplatzautonomie das Selbstwertgefühl, die Motivation und die Zufriedenheit. Dadurch steige die Produktivität und sinke die Fluktuation, so Helena Lopes, Sérgio Lagoa und Teresa Calapez. Die Ökonomen von der Universität Lissabon haben untersucht, inwieweit Selbstbestimmung im Job auch gesellschaftliche Konsequenzen hat. Ihrer international vergleichenden Studie zufolge wirkt sich der Grad der Autonomie am Arbeitsplatz positiv auf das bürgerschaftliche Engagement aus.

Dass es einen entsprechenden Zusammenhang geben könnte, leiten die Wirtschaftswissenschaftler unter anderem aus Befunden der sozialpsychologischen Forschung ab. Demnach führen Zwang, Druck und Kontrolle von Seiten des Managements dazu, dass intrinsische Motivation verdrängt wird. Das heißt: Beschäftigte orientieren sich stärker an materialistischen Werten. Partizipation an der betrieblichen Entscheidungsfindung trage dagegen dazu bei, Selbstbewusstsein, Kooperationsfähigkeit und Gemeinschaftssinn zu entwickeln – Qualitäten, die auch für verantwortliches öffentliches Handeln nötig sind. Je mehr Kontrolle Beschäftigte über ihre Arbeit ausüben, so die Annahme der Forscher, desto stärker sollte die Neigung ausgeprägt sein, auch außerhalb der beruflichen Sphäre soziale Ziele zu verfolgen und am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Um ihre Hypothese zu überprüfen, haben die Wissenschaftler Daten des European Working Conditions Survey aus den Jahren 1995, 2000, 2005 und 2010 ausgewertet. Aus den Befragungsergebnissen haben sie Indikatoren für zwei verschiedene Formen von Arbeitsplatzautonomie abgeleitet: Zum einen haben sie erfasst, welchen Spielraum Beschäftigte bei der Arbeitsweise und der Zeitplanung haben. Zum anderen haben sie berücksichtigt, inwieweit die Befragten selbst Problemlösungen erarbeiten und Neues lernen, und daraus eine Maßzahl für den Grad der Kontrolle über Arbeitsinhalte gebildet.

Es zeigt sich, dass die Autonomie der Beschäftigten auf europäischer Ebene seit 1995 in beiden Dimensionen abgenommen hat. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern: Auffällig niedrige Werte weisen südeuropäische Staaten wie Portugal und Griechenland auf. Dänemark, Finnland, Schweden und die Niederlande liegen dagegen weit über dem Durchschnitt und sind zudem die einzigen Länder, in denen der Grad der Arbeitsplatzautonomie zugenommen hat. Deutschland befindet sich im Mittelfeld. Betrachtet man das Ausmaß ehrenamtlicher Aktivitäten, zeigt sich ein ähnliches Muster: Einerseits ist im EU-15-Durchschnitt ein Rückgang zu verzeichnen. Andererseits gibt es eine klare Diskrepanz zwischen Nordeuropa und dem Mittelmeerraum: Soziales Engagement ist in Finnland, Schweden und den Niederlanden wesentlich verbreiteter als in Italien, Spanien, Frankreich oder Portugal. Die einzigen Länder mit einem Zuwachs zwischen 1995 und 2010 sind Dänemark, die Niederlande und Österreich. Alles in allem sei ein klarer Zusammenhang zwischen Autonomie im Job und bürgerschaftlichem Engagement erkennbar, stellen die Autoren fest.

Eine Regressionsanalyse bestätigt diesen Zusammenhang: Auch wenn Kontrollvariable wie das Geschlecht, das Alter, die Bildung, das Einkommen oder die Art des Arbeitsvertrags berücksichtigt werden, ergibt sich ein signifikant positiver Effekt von Arbeitsplatzautonomie auf die freiwillige Mitarbeit in karitativen Organisationen, Parteien oder Gewerkschaften. Die Größe dieses Effekts sei durchaus bemerkenswert, urteilen die Ökonomen: Wenn von zwei Beschäftigten, die ansonsten in jeder Hinsicht identisch sind, der eine niedrige, der andere hohe inhaltliche Autonomie am Arbeitsplatz genießt, habe das zur Folge, dass derjenige mit der hohen Autonomie mit einer um 33 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ehrenamtlich tätig ist. Angesichts ihrer Befunde empfehlen Lopes, Lagoa und Calapez der Politik, die Selbstbestimmung am Arbeitsplatz gezielt zu fördern, unter anderem auch durch eine Stärkung der Gewerkschaften. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, dem Rückgang beim bürgerschaftlichen Engagement entgegenzuwirken.

  • Beim Ausmaß der ehrenamtlichen Aktivitäten von Beschäftigten ist EU-weit ein Rückgang zu verzeichnen. Zur Grafik
  • Die Autonomie der europäischen Beschäftigten hat im vergangenen Jahrzehnt abgenommen. Zur Grafik

Helena Lopes, Sérgio Lagoa, Teresa Calapez: Declining autonomy at work in the EU and its effect on civic behaviour, Economic and Industrial Democracy, Mai 2014

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