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Gut gewappnet mit Tarif und Betriebsrat Böckler Impuls

Mitbestimmung: Gut gewappnet mit Tarif und Betriebsrat

Ausgabe 04/2022

Einkommen, die Gesundheit und die Zukunftsperspektiven von Beschäftigten sind in der Coronakrise besser geschützt, wenn Betriebe tarifgebunden und mitbestimmt sind.

Die vergangenen zwei Jahre waren ein Stresstest für Erwerbstätige: „Wie kaum eine andere Krise hat die aktuelle Pandemie in den Belegschaften für Existenzängste gesorgt, etablierte Arbeitsstrukturen verändert sowie Grenzen zwischen Privat- und Arbeitssphäre verflüssigt“, erklärt Martin Behrens. Der WSI-Forscher hat untersucht, inwieweit Mitbestimmung und Tarifbindung dazu beitragen konnten, Beschäftigte vor Verwerfungen zu schützen. Dafür hat er Daten der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Juni 2020 und dem Juli 2021 ausgewertet, die sich auf jeweils mehr als 5000 Befragte beziehen. Das Ergebnis: „Gewerkschaftliche Tarifpolitik und Betriebsräte können die Lage der Beschäftigten auch in der aktuellen Extremsitu­ation nachweislich verbessern.“

Um ihren Job mussten in der Krise zahlreiche Beschäftigte bangen, beispielsweise in der Luftfahrtindustrie, der Kulturbranche oder dem Gastgewerbe, schreibt Behrens. Seiner Analyse zufolge sind Betriebsräte und Tarifbindung geeignet, solche Ängste zu mindern: Dass sie „auf jeden Fall“ oder „eher“ befürchten, in nächster Zeit arbeitslos zu werden, bejahten im Juni 2020 8,9 Prozent der Tarifbeschäftigten im Vergleich zu 12,7 Prozent der Beschäftigten ohne Tarifvertrag. Dieser Zusammenhang bleibt auch dann bestehen, wenn man die Betriebsgröße und die Branche berücksichtigt. Mitbestimmung hat einen ähnlichen Effekt, der allerdings statistisch weniger robust ausfällt.

Kurzarbeit habe während der Pandemie in großem Umfang zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts beigetragen, heißt es in der Studie. Einkommensverluste, die den von Kurzarbeit betroffenen Beschäftigten entstanden sind, haben manche Arbeitgeber durch eine Aufstockung des staatlichen Kurzarbeitsgelds gelindert. Besonders oft kam das bei mitbestimmten Betrieben vor: Im Juni 2020 erhielten 60 Prozent der Kurzarbeitenden mit Betriebsrat eine Aufstockung, ohne Betriebsrat waren es 32 Prozent. Bei Beschäftigten mit Tarifvertrag betrug die Quote 58 Prozent, ohne 34 Prozent. Die Unterschiede bleiben auch unter Berücksichtigung von Betriebsgröße und Branche signifikant.

Mobiles Arbeiten hat sich laut dem WSI-Experten in den vergangenen zwei Jahren „von einem Privileg für überschaubare Branchen und Beschäftigtengruppen zu einem Massenphänomen“ entwickelt und dabei als ein äußerst wirksames Instrument des betrieblichen Gesundheitsschutzes erwiesen. Profitiert davon haben allerdings nicht alle Beschäftigten gleichermaßen: Eine Regelung zum Home­office – etwa hinsichtlich der Ausstattung mit mobilen Geräten und des Fernzugriffs auf interne Netze und Datenbanken – gab es im Juli 2021 bei 80 Prozent der Befragten mit Betriebsrat und bei 51 Prozent derjenigen ohne Betriebsrat. Ausgeschlossen von der Analyse waren Personen, deren Arbeitssituation Homeoffice nicht zulässt.

Für Qualifizierungsmaßnahmen hätten sich in Corona-Zeiten dank Kurzarbeit erhebliche Spielräume ergeben, so der Forscher. Dabei war die Wahrscheinlichkeit, während der Krise an Weiterbildung teilzunehmen, mit 46 Prozent deutlich höher bei den Beschäftigten von mitbestimmten Betrieben als bei denen ohne Betriebsrat mit 28 Prozent. Auch dieser Befund ändert sich nicht, wenn Betriebsgröße und Branche statistisch berücksichtigt werden.

Laut Behrens sind „die Kerninstitutionen der Regulierung von Arbeit, die gewerkschaftliche Tarifpolitik ebenso wie die Mitbestimmung durch den Betriebsrat, von herausragender Bedeutung, wenn es darum geht, Maßnahmen zum Schutz des Arbeitsplatzes, der Gesundheit und des Arbeitsvermögens in die Betriebe zu tragen und dort zu verankern“. Umso problematischer sei es daher, dass in Deutschland der Anteil der Tarifbeschäftigten seit Mitte der 1990er-Jahre um mehr als 20 Prozentpunkte und der Anteil derjenigen mit Betriebsrat um etwa 10 Prozentpunkte geschrumpft ist. Um gegenzusteuern, könnte die Politik unter anderem tarifbindungslose Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden einschränken, Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen erleichtern und die Initiatorinnen und Initiatoren von Betriebsratswahlen besser schützen, empfiehlt der Wissenschaftler.

Martin Behrens: Besser durch die Krise mit Tarif und Betriebsrat, WSI Policy Brief Nr. 67, März 2022

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