Quelle: HBS
Böckler ImpulsInnovation: Gut ausgebildete Beschäftigte haben die besseren Ideen
Spitzenforschung allein garantiert noch keine Innovationen. Länderstudien führen vor, was ebenso wichtig ist, um neue Verfahren und Produkte in die Welt zu bringen: Gut ausgebildete Beschäftigte mit Raum für Kreativität - und ein langer Atem.
Die Werkbank der Industrieländer zu sein, das genügt dem größten Schwellenland der Welt inzwischen nicht mehr. China hat in den vergangenen Jahren immer mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Sein Anteil an den weltweiten Aufwendungen betrug 1996 knapp vier Prozent, bis 2004 hatte sich der Anteil fast verdreifacht. Wollen sich die etablierten Industriestaaten im Wettbewerb um künftige Innovationen behaupten, müssen sie mehr investieren als bisher, schreiben Frank Gerlach und Astrid Ziegler von der Hans-Böckler-Stiftung. Die Forscher warnen jedoch zugleich vor einer Verengung des Blickes: "Die Ausgaben sind eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung, um auch tatsächlich eine erfolgreiche Innovationspolitik umzusetzen." Wichtiger als die Summe ist der richtige Einsatz des Geldes.
Gerlach und Ziegler haben einen Band mit zehn Länderstudien herausgegeben - "Innovationspolitik: Wie kann Deutschland von anderen lernen?". Eine zentrale Lehre der Studien lautet: Erfolgreiche Innovationspolitik fördert nicht nur vereinzelte Projekte, etwa Spitzenforschung in neuen Wissensgebieten. Sie unterstützt vielmehr ein Klima, in dem Unternehmen untereinander und mit Forschungsinstituten kooperieren - und in dem gut ausgebildete Beschäftigte Gestaltungschancen bekommen und wahrnehmen. Die Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass zwischen sozialem Zusammenhalt und Innovation kein Zielkonflikt besteht - sie befördern sich oft sogar. "Eine Einteilung in erfolgreiche, neoliberale Staaten und weniger erfolgreiche, sozialstaatlich-geprägte Staaten mit einer hohen sozialen Kohäsion ist nicht haltbar", resümieren die beiden Forscher.
Skandinavien: Technologische und soziale Innovationen verstärken sich. Ob die Wettbewerbsfähigkeit betrachtet wird oder die gesellschaftliche Entwicklung - Schweden und Norwegen schneiden bei internationalen Vergleichen stets gut ab. Der Arbeitswissenschaftler Paul Oehlke führt das vor allem auf die innovative Arbeitspolitik der beiden Länder zurück. Gemeinsame Programme von Regierung und Verbänden haben die Organisation und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken und Büros verbessert. Die enge Zusammenarbeit von Tarif- und Betriebsparteien verschafft den schwedischen und norwegischen Beschäftigten große Gestaltungsmöglichkeiten. Hinzu kommen in beiden Ländern hohe Bildungsausgaben, eine gute öffentliche Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung. Die OECD bemerkte schon in den 80er-Jahren die "innovationsförderliche Funktion breit angelegter gesellschaftlicher Aktivierungsprozesse".
Finnland: Langfristige Planung und Bildungsinvestitionen zahlen sich aus. Finnland ist aus eigener Kraft zu einem Standort mit hoher Innovationsfähigkeit geworden - im Unterschied etwa zu Irland, das seine Wettbewerbsfähigkeit der Ansiedlung internationaler Konzerne verdankt. Die entscheidenden Weichen wurden in den 70er- und frühen 80er-Jahren gestellt, so Gerd Schienstock, Professor an der Universität Tampere. Die Finnen bauten in dieser Zeit mehrere technische Universitäten auf, entschieden sich für die Förderung zentraler Technologien und schufen einen FuE-Fonds, der Gründer mit Risikokapital ausstattet und internationale Kooperationen unterstützt. "Finnland gehört zu den ersten Ländern, die damit begonnen haben, eine systematische Vernetzungspolitik zur Stimulierung und Effektivierung von Innovationsprozessen zu betreiben", so Schienstock. Die Finnen verfolgen eine "betriebsbezogene Politik der Stärkung innovativer Fähigkeiten". Und sie hatten Geduld: Selbst in Wirtschaftskrisen wurden die Forschungsausgaben nicht reduziert, obwohl sich der Erfolg erst Mitte der 90er-Jahre einstellte. Einen wichtigen Beitrag zum Erfolg leistet auch das Bildungssystem: Über 40 Prozent der 20- bis 29-Jährigen studieren, und unter den Studierenden streben 35 Prozent einen Abschluss in einem naturwissenschaftlich-technisch Fach an - ein europäischer Spitzenwert.
Niederlande: Dauerhafte Lohnzurückhaltung schadet der Innovationskraft. In den Niederlanden stagnierte zuletzt die Fähigkeit zu Neuerungen. Alfred Kleinknecht, Professor für Innovationsökonomik an der Universität Delft, führt das vor allem auf die Lohnpolitik zurück. Die Aufwertung des Guldens und eine schwere Rezession hatten in den 80er-Jahren in den Niederlanden für sehr hohe Arbeitslosigkeit gesorgt, die Tarifparteien verordneten sich eine langjährige Lohnzurückhaltung. Mittelfristig machte sich das zwar bezahlt, zehn Jahre später hatten die Niederlande Vollbeschäftigung. Doch langfristig war es keine gute Lösung: Zwischen 1980 und 2000 nahm die Arbeitsproduktivität eines niederländischen Beschäftigten nur um die Hälfte des EU-Schnitts zu. Aufgrund der niedrigen Löhne blieben alte Maschinen rentabel, die Betriebe ließen sich mit Investitionen Zeit. "Die Niederlande haben in der Periode der Lohnzurückhaltung gegenüber den sieben wichtigsten Handelspartnern sogar noch Marktanteile verloren", resümiert Kleinknecht.
Nordamerika: Kulturelle Vielfalt und ausreichend Risikokapital. Kanada und die USA zählen zu den ökonomischen Gewinnern der vergangenen 15 Jahre. Einen wichtigen Grund beobachtet Kurt Hübner, Ökonom an der Universität Vancouver: Die beiden Länder beziehen erhebliche Impulse durch Einwanderer - einen wesentlichen Teil der Innovationsdynamik verdanken die Nordamerikaner ihrer Toleranz und Offenheit. Kanada hat zudem eine starke Risikokapital-Branche. Nirgendwo in der OECD ist die Versorgung mit privatem Frühphasenkapital so gut, auch nicht in den USA. Und das Land verfügt über eine "hochgradig qualifizierte Breitenausbildung".
Deutschland: Zu einseitig auf Leuchttürme und Spitzenforscher ausgerichtet. Die deutsche Wirtschaft profitiert ebenfalls von einer guten Breitenausbildung. Sie ist dort besonders innovativ, wo es darum geht, neue Techniken - wie etwa die Robotik - in etablierten Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau anzuwenden. Die Innovationsstärke zahlreicher Unternehmen ist jedoch in Gefahr. "Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen kleiner und mittlerer Industrieunternehmen sind überaltert. Es ist eine Frage der Zeit, bis dieses Innovationshemmnis zu dramatischen Einbrüchen in den Unternehmen führen wird", warnt Astrid Ziegler. In der Hightech-Strategie der Bundesregierung spielt der drohende Fachkräftemangel aber nur eine geringe Rolle. Die Förderpolitik unterschätze die Rolle der Beschäftigten und ihrer Interessenvertreter, so Ziegler: "Die Entwicklung von Produktideen, ihre Umsetzung in marktfähige Produkte und der zu ihrer Erstellung notwendige betriebliche Prozess können nur dann erfolgreich sein, wenn dieser von den Beschäftigten im Betrieb mitgetragen wird." Nötig seien mehr Qualifizierung und eine Arbeitspolitik, die mehr Kreativität am einzelnen Arbeitsplatz erlaubt - Themen, die sich in der Innovationsstrategie der Bundesregierung nicht wiederfinden. Ziegler führt das mit auf die Zusammensetzung der Beratergremien zurück: In der "Forschungsunion Wirtschaft - Wissenschaft" und im "Rat für Innovation und Wachstum" sitzen vor allem Manager von Großunternehmen und Wissenschaftler.
Europa fehlt eine abgestimmte Strategie - alle streben in die gleichen Branchen. Trotz der gemeinsamen Lissabon-Ziele gibt es keine europäische Innovationsstrategie, stellen Frank Gerlach und Astrid Ziegler fest. "Tatsächlich reagieren die einzelnen Staaten auf die ökonomischen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Zukunft mit fast identischen innovationspolitischen Konzepten." Die Europäer einigen sich nicht auf eine Aufgabenteilung, die ihre jeweiligen Stärken berücksichtigt. Im Mittelpunkt der nationalen Innovationspolitiken stehe die Angst, einen Technologietrend verschlafen zu haben.
Frank Gerlach, Astrid Ziegler: Innovationspolitik: Wie kann Deutschland von anderen lernen?, Schüren Verlag, Marburg 2007.