Quelle: HBS
Böckler ImpulsGleichstellung: Große Kluft bei der Sorgearbeit
Um Kinder kümmern sich nach wie vor überwiegend die Mütter. Der Beitrag der Väter, die sich vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie stärker engagiert hatten, hat wieder abgenommen.
In der Theorie stimmen Frauen und Männer zwar weitgehend darin überein, dass in einer Partnerschaft Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung gleichberechtigt aufgeteilt werden sollten. In der Realität sieht es aber meist anders aus – und gleichzeitig sind sich mehr Mütter und Väter uneinig darüber, wer wie viel Sorgearbeit übernimmt. Das zeigt eine neue Auswertung der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung durch das WSI.
WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch und die WSI-Expertin Eileen Peters haben die Antworten von insgesamt 476 Müttern und 693 Vätern ausgewertet, die erwerbstätig oder arbeitsuchend sind und minderjährige Kinder im Haushalt haben. An der Erwerbspersonenbefragung haben seit April 2020 in mehreren Untersuchungswellen dieselben Personen teilgenommen.
Der Auswertung zufolge weist die Arbeitsteilung bei der Kinderbetreuung eine klare Unwucht auf: Im November letzten Jahres gaben mehr als zwei Drittel der Mütter, aber nur vier Prozent der Väter an, selber den überwiegenden Teil dieser Sorgearbeit zu leisten. Während der Coronakrise hatte es vorübergehend nach mehr Gleichstellung in den Familien ausgesehen: Im April 2020 hatten zwölf Prozent der Mütter und der Väter zu Protokoll gegeben, dass in ihrem Haushalt der Mann für den Löwenanteil der Kinderbetreuung zuständig ist – knapp viermal mehr als vor Corona. Inzwischen liegt dieser Anteil wieder ungefähr beim Vorkrisenniveau. „In Bezug auf die Verteilung der Kinderbetreuung hat die Pandemie kaum etwas verändert. Die Hauptlast liegt immer noch bei den Frauen“, erklärt Kohlrausch.
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Dabei sind die Einschätzungen von Männern und Frauen in dieser Frage zuletzt stark auseinandergedriftet. So waren im November letzten Jahres 54 Prozent der Väter im Vergleich zu 68 Prozent der Mütter der Auffassung, dass die Mutter sich überwiegend um die Kinder kümmert. „Eine mögliche Erklärung für diese sehr ungleiche Einschätzung der Verteilung der Sorgearbeit, die wir während der Pandemie so nicht beobachten konnten, ist, dass in dem Moment, in dem Erwerbsarbeit wieder stärker außer Haus stattfindet, Sorgearbeit weniger wahrgenommen wird“, so Kohlrausch.
Auch bei der Einstellung zu geschlechtsspezifischen Rollenbildern tun sich zum Teil deutliche Unterschiede auf. Dass Männer als Führungskräfte in der Wirtschaft besser geeignet seien als Frauen, bejahen zum Beispiel nur 13 Prozent der weiblichen, aber immerhin 34 Prozent der männlichen Befragten. „In den vergangenen Jahrzehnten hat es langsame, aber spürbare Fortschritte bei der Zahl der Frauen in höheren und vor allem mittleren Führungspositionen gegeben. Anscheinend halten sich dennoch geschlechtsspezifische Vorurteile zu den Führungsqualitäten bei einem erheblichen Teil der Befragten hartnäckig“, sagt WSI-Forscherin Peters.
Hinsichtlich der Arbeitsteilung innerhalb der Familie scheinen zunächst geschlechterübergreifend egalitäre Vorstellungen vorzuherrschen. Dass beide Partner gleich viel im Erwerbsjob arbeiten und sich gleichermaßen um den Haushalt und die Kinder kümmern, stellt nach Ansicht von 84 Prozent der Männer und knapp 89 Prozent der Frauen die ideale Situation dar. Gleichzeitig waren nur 16 Prozent der Frauen, aber 24 Prozent der Männer der Meinung, dass es für alle Beteiligten am besten ist, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau sich um Haushalt und Kinder kümmert.
„Frauen haben tendenziell egalitärere Vorstellung im Hinblick auf Geschlechterrollen als Männer. Hier herrscht Nachholbedarf, denn nur, wenn auch die Männer mitziehen, kann eine faire Verteilung der Sorgearbeit erreicht werden. Positiv ist, dass sich sowohl unter den Männern als auch den Frauen eine klare Mehrheit dieses wünscht“, sagt Kohlrausch. Die große Diskrepanz zur Realität verdeutliche allerdings, dass die meisten von ihnen ihre Idealvorstellung nicht umsetzen können. Um ihnen das zu erleichtern, empfehlen die WSI-Expertinnen unter anderem den Ausbau von Kitas und Kindergärten und bessere Arbeitsbedingungen der – meist weiblichen – Fachkräfte in diesem Bereich. Zudem könnte eine Elterngeldreform mit einem Ausbau der Partnermonate und einer Anpassung der Lohnersatzleistung gerade Vätern ermöglichen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Darüber hinaus müsse das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Auf betrieblicher Ebene könnten flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatz-Arrangements sowie eine kürzere Vollzeit mit 35 oder 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich die Spielräume für eine faire Verteilung der Sorgearbeit erweitern.