Quelle: HBS
Böckler ImpulsPrivate Equity: Gesundheitsbranche im Visier
Das Geschäft von Finanzinvestoren in Deutschland boomt. Die Firmenjäger greifen vor allem nach mittleren und kleineren Unternehmen. Das Nachsehen haben oft die Beschäftigten.
Private-Equity-Gesellschaften haben 2017 insgesamt 274 Unternehmen in Deutschland übernommen – rund 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig erreichte das Transaktionsvolumen mit bis zu 24,5 Milliarden Euro einen Höchststand. Besonders aktiv waren internationale Investoren in der Gesundheitsbranche. Für Beschäftigte und Arbeitnehmervertreter ist der Umgang mit den neuen Eigentümern oft nicht einfach. Das zeigt der aktuelle „Private Equity Monitor“, den Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik für die Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat. Die jährliche Auswertung stellt die einzige regelmäßig erscheinende wissenschaftliche Berichterstattung zu den Aktivitäten von Private Equity in Deutschland dar.
Private Beteiligungsgesellschaften gelten als besonders aktive Finanzinvestoren, ihr Geschäftsmodell besteht aus dem Kaufen und Verkaufen von Unternehmen. Auffällig ist, dass sie es im vergangenen Jahr verstärkt auf kleine und mittlere Unternehmen abgesehen hatten. Nur in zwei Fällen wurden Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten aufgekauft, im Schnitt hatten die übernommen Firmen 340 Mitarbeiter. Die Zahl der insgesamt von Übernahmen betroffenen Arbeitnehmer sank um 13 Prozent auf 93 200, obwohl es deutlich mehr Transaktionen als im Vorjahr gab.
Auf kurzfristigen Erfolg aus
Die Zahl der Verkäufe durch Private Equity stieg 2017 um neun Prozent auf 110. Dabei fehlten umsatz- und beschäftigungsstarke Firmen: Nur ein Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten wurde verkauft. Aus diesem Grund ging die Zahl der von Verkäufen betroffenen Beschäftigten um mehr als ein Drittel auf 64 000 zurück. In knapp 60 Prozent der Fälle verkauften Finanzinvestoren an andere Finanzinvestoren, was als „Secondary Buyout“ bezeichnet wird. Außerdem haben sich Private-Equity-Gesellschaften in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Verkaufspartner für chinesische Unternehmen entwickelt. Von den 182 Unternehmen, die Chinas Investoren in den Jahren 2011 bis 2017 in Deutschland erwarben, stammten insgesamt 43 Unternehmen aus dem Eigentum eines Finanzinvestors.
Das Engagement von Private-Equity-Investoren ist häufig kurzfristig angelegt. Im Schnitt waren die Beteiligungsgesellschaften, die 2017 ein Unternehmen aus Deutschland verkauften, erst fünf Jahre zuvor eingestiegen. Ein Grund: Die Gesellschaften beschaffen Kapital überwiegend über Fonds, in denen institutionelle Investoren und vermögende Privatpersonen ihr Geld anlegen. Die Laufzeit dieser Fonds ist in der Regel begrenzt, in dieser Zeit muss eine möglichst hohe Rendite erzielt werden. Aus Sicht der Investoren ergebe es Sinn, so Scheuplein, den schnellen Erfolg zu suchen: durch die Veräußerung von Vermögenswerten, das Abstoßen von vermeintlichen Randbereichen, Outsourcing, Aufspaltung, Stellenabbau. Neue Produkte zu entwickeln oder Zukunftsmärkte zu erschließen, komme hingegen zu kurz. Und wenn ein Finanzinvestor nach wenigen Jahren aussteigt, stehe ein weiterer Eigentümerwechsel an – mit erneuten Veränderungen von Unternehmensstrategien, Geschäftsfeldern und Standorten. Die Beschäftigten erlebten diese Wechsel häufig als eine Zeit der jahrelangen Unsicherheit.
Schwerer Stand für die Mitbestimmung
Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat bleibt vielen Arbeitnehmern vorenthalten: Firmen im Eigentum von Private Equity ignorierten oder verwehrten Mitbestimmungsrechte häufiger, als das im Durchschnitt vergleichbarer Unternehmen vorkomme, konstatiert der Forscher. 39 Unternehmen, die im Jahr 2017 im Besitz einer Beteiligungsgesellschaft waren, hatten mehr als 2000 Beschäftigte in Deutschland. Sie müssten laut Gesetz paritätisch mitbestimmt sein. Tatsächlich war das aber nur in der Hälfte der Unternehmen der Fall, wobei 18 Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben ignorierten und in drei weiteren Unternehmen die Mitbestimmung aktiv vermieden wurde, etwa durch die Einschaltung einer Holding in der Rechtsform einer Societas Europaea. In den Unternehmen mit 500 bis 1999 Beschäftigten, bei denen das Gesetz ein Drittel der Aufsichtsratssitze für Arbeitnehmer vorsieht, fiel die Vermeidungsquote noch höher aus. Von allen im Jahr 2017 übernommenen Unternehmen waren fast 90 Prozent nicht drittelparitätisch mitbestimmt. „Vermeidung und Ignorierung von Mitbestimmung verstoßen nicht nur gegen geltende Gesetze. Sie zeigen auch, dass die Investoren nicht an einer langfristigen Entwicklung im Sinne aller Beteiligten interessiert sind“, erklärt Alexander Sekanina, Experte des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung.
Auch auf Ebene der betrieblichen Mitbestimmung ergeben sich Probleme: Wenn sich Finanzinvestoren ins operative Geschäft einmischen, verringert sich der Entscheidungsspielraum der Geschäftsführung vor Ort. Damit kann den Betriebsräten ihr Gesprächs- und Verhandlungspartner verloren gehen – erst recht, wenn es sich bei den neuen Eigentümern um Investoren handelt, die ihren Sitz im Ausland haben.
Während die in Deutschland ansässigen Private-Equity-Gesellschaften in früheren Jahren die Mehrheit der Buyouts tätigten, ist ihr Anteil 2017 auf 38 Prozent gefallen. Auf Gesellschaften aus Großbritannien und den USA entfielen rund 31 Prozent der Käufe. Die Finanzinvestoren mit einem Sitz in Frankreich oder Benelux, die 2016 einen starken Anstieg erlebten, konnten ihre Position halten mit einem Anteil von 16 Prozent. Bemerkenswert waren einige große Transaktionen schwedischer Investoren. Sie hatten zwar nur einen Anteil von 5 Prozent an allen Buyouts, davon betroffen war allerdings ein Fünftel der Beschäftigten von allen übernommenen Firmen. Die in Deutschland aktiven Fonds zahlten ihren Anlegern 2017 im Schnitt eine Verzinsung von 18,6 Prozent – fast fünf Prozentpunkte mehr als die Fonds, die im Vorjahr in Deutschland aktiv gewesen sind. Diese außerordentliche Rendite könne auch deshalb erzielt werden, so der Wissenschaftler, weil die Fonds ihre Gewinne überwiegend in Steueroasen wie Guernsey und Jersey, den Kaimaninseln oder Luxemburg versteuern.
Finanzinvestoren entdecken das Gesundheitswesen
Die Gesundheitsbranche erlebte einen starken Anstieg an Übernahmen und nahm mit einem Anteil von rund 15 Prozent – gleichauf mit der Software- und Internetbranche – den ersten Rang ein. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten lag sie mit einem Anteil von mehr als einem Drittel unangefochten auf dem ersten Platz. Ausschlaggebend dafür war zum einen die Übernahme mehrerer großer Pflegeheimbetreiber. Zum anderen haben Investoren eine Reihe von Arztpraxen übernommen, mit dem Ziel, diese zu international aufgestellten Unternehmensgruppen zusammenschließen. Das Aufkaufen kleinerer Betriebe und deren anschließende Zusammenlegung ist eine beliebte Strategie von Finanzinvestoren, bekannt unter dem Namen „Buy and Build“. Dass sie auch im deutschen Gesundheitssektor zum Einsatz kommt, ist durch regulatorische Veränderungen möglich geworden. Erst seit 2015 dürfen beispielsweise einzelne Zahnarztpraxen durch einen nicht-medizinischen Investor übernommen werden. „Das rasante Größenwachstum der neuen Pfegekonzerne und Facharztketten macht deutlich, dass es hier um eine Neuordnung der Branchen- und Wertschöpfungsstrukturen geht“, schreibt Scheuplein. Bei dieser Entwicklung handele es sich um eine „neue Dimension der Privatisierung und Finanzialisierung von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge“. Wenn die Marktanteile in einigen Jahren neu verteilt sind, werde die Solidargemeinschaft mit neuen, handlungsstarken Akteuren konfrontiert sein. Die Leidtragenden könnten Patienten und Beschäftigte sein, warnt der Experte. „Es erscheint dringend erforderlich, den aktuellen Eingriff von Finanzinvestoren in den Gesund- heitssektor wieder zu unterbinden.“
Christoph Scheuplein: Private Equity Monitor 2018 (pdf). Die aktuelle Tätigkeit von Finanzinvestoren in Deutschland, Mitbestimmungsreport Nr. 47, Februar 2019