Quelle: HBS
Böckler ImpulsGeringverdiener: Gesetzesplan ohne Wirkung
Die Bundesregierung plant, sittenwidrige Löhne gesetzlich zu verbieten. Für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor wäre damit nichts gewonnen.
"Die Rechtsprechung zum Verbot sittenwidriger Löhne soll gesetzlich festgeschrieben werden, um Lohndumping zu verhindern." So steht es im Koalitionsvertrag, den die Regierungsparteien geschlossen haben. Nach Einschätzung des WSI wird sich das Vorhaben jedoch als wirkungslos erweisen. Zum einen wird das geplante Gesetz die Situation schlecht bezahlter Arbeitnehmer überhaupt nicht verbessern - es würde nur noch einmal aufgeschrieben, was ohnehin geltendes Recht ist. Zum anderen schützt eine entsprechende Regelung keineswegs vor Dumping-Löhnen.
Gut zwei Euro pro Stunde bleiben legal. Als sittenwidrig gelten Löhne, die ein Drittel oder noch weiter unter dem Branchendurchschnitt oder gültigen Tariflohn liegen: Nach dieser Regel entschieden die Arbeitsgerichte in der Vergangenheit, wenn sie darüber zu befinden hatten, ob extreme Niedriglöhne noch mit den "guten Sitten" vereinbar sind. In vielen Branchen ergeben sich daraus Lohnuntergrenzen von weniger als sechs Euro. Beispielsweise ist im sächsischen Friseurhandwerk ein Bruttostundenlohn von 2,04 Euro - zwei Drittel der untersten Tarifvergütung - noch nicht sittenwidrig. Berliner Wachdienste, die ihren Beschäftigten 3,66 Euro die Stunde zahlen, können ebenso wenig belangt werden wie Einzelhändler in Nordrhein-Westfalen, die 5,15 Euro bezahlen.
Mit solchen Stundenlöhnen sei selbst bei Vollzeitarbeit keine eigenständige Existenzsicherung möglich, sagt Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs. "Zur Bekämpfung sittenwidriger Löhne und zur Begrenzung des Niedriglohnsektors insgesamt ist ein verbindlicher Mindestlohn von wenigstens 7,50 Euro erforderlich", so der Tarifexperte. In den westeuropäischen Nachbarländern lägen die gesetzlichen Mindestlöhne zurzeit zwischen acht und neun Euro.
Nach Angaben des Instituts Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen arbeiteten 2007 rund 3,3 Millionen Menschen in Deutschland für Bruttostundenlöhne unter sechs Euro. 2,2 Millionen davon gingen dem gering entlohnten Job als Hauptberuf nach. Die übrigen Billigjobs sind schlecht bezahlte Nebentätigkeiten.
Reinhard Bispinck ist Experte für Tarifpolitik im WSI