Quelle: HBS
Böckler ImpulsMindestlohn: Gesetz ohne Anwendungsmöglichkeiten
Als Alternative zu einem gesetzlichen Mindestlohn kommt in jüngster Zeit häufig das Mindestarbeitsbedingungsgesetz (MinArbBG) aus dem Jahr 1952 ins Spiel. Keine praktikable Lösung, urteilt das WSI.
"Dieses Gesetz, das in 50 Jahren nicht einmal angewendet wurde, ist in vielen Niedriglohnbranchen nicht praktikabel", sagt WSI-Tarifexperte Reinhard Bispinck. Das belegt bereits ein Rechtsgutachten des Instituts für das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium aus dem Jahr 2003: Zur Anwendung des Gesetzes seien hohe Hürden zu überwinden, schrieben die Gutachter im Rahmen eines Forschungsprojektes, das von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde.
Eine Voraussetzung zur Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen: Es dürften keine - beziehungsweise keine repräsentativen - Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände für die in Frage kommenden Branchen oder Beschäftigungsarten vorhanden sein. Sobald also relevante Tarifvertragsparteien existieren, die eine Regelung treffen könnten, darf das Gesetz nicht angewendet werden.
Ergo: "Auf Grundlage des MinArbBG bleibt nicht einmal Raum für einen Mindestlohn, dessen Geltung sich auf Arbeitsverhältnisse reduziert, die keiner Tarifbindung unterliegen."
Sicher ließe sich eine solche Hürde bei einer Reform des Gesetzes schlichtweg abschaffen. Doch bezweifeln die Gutachter, dass sich mit der aufwändigen Prozedur zur Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, wie sie im MinArbBG vorgesehen ist, überhaupt ein Mindestlohn als verbindlicher Maßstab für einen längeren Zeitraum etablieren ließe.
Die Regeln des Gesetzes deuteten "eher auf sporadische Festsetzungsoptionen, aber nicht auf eine kontinuierliche Anpassung der Entgeltfestsetzung an soziale und wirtschaftliche Entwicklungsprozesse". Eine rasche und unkomplizierte Anwendung des Gesetzes in den Niedriglohnbranchen wäre damit kaum vorstellbar. "Sinnvoller als eine umständliche Anpassung der alten Vorschriften wäre ein neues Gesetz, das eine einfache Festsetzung und Fortschreibung eines branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohnes ermöglicht", so Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs.
Gabriele Peter, Otto Ernst Kampen, Ulrich Zachert: Rechtliche und rechtspolitische Aspekte der Sicherung von tariflichen Mindeststandards, Rechtsgutachten, Düsseldorf 2003 Download (pdf); erschienen in: Die Sicherung tariflicher Mindeststandards, Rechtliche und rechtspolitische Aspekte, Schriften der Hans-Böckler-Stiftung, Band 56, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004
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