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HBS Böckler Impuls

Verteilungsspielraum: Gesamtwirtschaftliche Entwicklung zählt

Ausgabe 02/2006

Auch vor der diesjährigen Tarifrunde geht es wieder um den "Verteilungsspielraum", mit dem Lohnforderungen und -empfehlungen begründet werden. Unumstritten ist dieser Begriff nicht. Fragen an Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK.

Wie definieren Sie den Verteilungsspielraum?

Horn: Zunächst einmal: Es geht hier um den "neutralen Verteilungsspielraum", das heißt den lohnpolitischen Spielraum, der die Relationen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern nicht verändert - unabhängig von Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Grundlage dafür ist zweierlei: der Trend der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung und die entsprechend dem Stabilitätsziel der Europäischen Zentralbank zulässigen Preissteigerungen.

Wenn die Arbeitsproduktivität steigt, kann das ohne zusätzliche Belastung der Unternehmen an die Arbeitnehmer weitergegeben werden. Das sind derzeit 1,5 Prozent. Ebenso kostenneutral verhält es sich mit den zulässigen Preissteigerungen in Höhe von 2 Prozent.

Das Institut der deutschen Wirtschaft argumentiert, die stark gestiegenen Energiepreise dürften nicht in die Berechnung des Verteilungsspielraums einbezogen werden. Wie sehen Sie das?

Horn: Richtig ist, dass die Unternehmen höhere Kosten haben, wenn die Importpreise beispielsweise für Öl stark steigen. Doch gerade der Ölpreis kann sich in verschiedene Richtungen entwickeln, wir erleben drastische Schwankungen. Dann ist ein Abschlag oder eben ein Zuschlag nötig. Im Schnitt bleibt es aber dabei: Produktivitätsanstieg plus Preissteigerungen.

Wie bemisst sich die zulässige Preissteigerungsrate?

Horn: Am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank, dieses liegt bei 2 Prozent.

Beim Produktivitätszuwachs wollen manche die Produktivitätsgewinne herausrechnen, die durch Entlassungen hervorgerufen worden sind. Was sagen Sie dazu?

Horn:
Da habe ich einen grundsätzlichen Einwand. Nur wenn es vorher überhöhte Lohnabschlüsse gegeben hat, zählen solche Produktivitätszuwächse nicht mit. In Deutschland gab es Entlassungen eindeutig wegen mangelnder Nachfrage und nicht wegen überhöhter Löhne.

Nur bei einem Lohnabschluss unterhalb des Verteilungsspielraums würden neue Arbeitsplätze entstehen, heißt ein weiteres Argument.

Horn: Auch das würde nur gelten, wenn die Löhne zu hoch wären. Das ist aber nicht der Fall.

Wenn dann die Arbeitnehmer den Verteilungsspielraum nicht ausnutzen können, steigern die Unternehmen ihren Verteilungsanteil; ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit steigt. Aber gleichzeitig sinkt der Anteil der Arbeitnehmer am gesamtwirtschaftlichen Einkommen; das schwächt die Binnennachfrage. Genau diese Entwicklung haben wir gehabt: In den vergangenen zehn Jahren sind die Löhne immer hinter dem Verteilungsspielraum zurückgeblieben. Diese Konsumschwäche belastete Unternehmen wie Karstadt-Quelle oder die Automobilindustrie, die auf die Binnennachfrage angewiesen sind. Dort gingen dann sogar Arbeitsplätze verloren.

In Interviews haben Sie von wünschbaren 3-Prozent-Abschlüssen in diesem Jahr gesprochen, gilt das als Empfehlung für alle Branchen?

Horn: Nein. Die Situation in den einzelnen Branchen ist unterschiedlich. Im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt wären aber 3 Prozent vernünftig. Dann bliebe die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hoch und die Binnennachfrage würde so gestützt.

  • Deutschlands Lohnstückkosten bleiben mit den Jahren ständig hinter denen der Nachbarländer zurück. Das verbessert die Wettbewerbsposition, schwächt aber die Binnenwirtschaft. Zur Grafik
  • Der Verteilungsspielraum wurde in den vergangenen Jahren kaum ausgeschöpft. Zur Grafik

Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung

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