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Geglückte Integration Böckler Impuls

EU: Geglückte Integration

Ausgabe 13/2024

Vor 20 Jahren fiel der Startschuss zur EU-Osterweiterung. Forschende ziehen insgesamt ein positives Fazit.

Im Jahr 2004 wuchs die Bevölkerung der EU durch die erste Runde der Osterweiterung um knapp 75 Millionen Menschen, vier Jahre später kamen durch den Beitritt Bulgariens und Rumäniens noch einmal 28 Millionen hinzu. Wegen des großen wirtschaftlichen Gefälles zwischen alten und neuen EU-Ländern machten sich nicht wenige Menschen in den westlichen Mitgliedstaaten Sorgen. „Die größte Befürchtung war, dass der Zuzug von Arbeitskräften den Wettbewerb am unteren Ende der westlichen Arbeitsmärkte verschärfen würde, was die ohnehin schon zunehmende Ungleichheit noch verstärken würde“, so IMK-Forscher Andrew Watt und László Andor, Generalsekretär der Foundation for European Progressive Studies in Brüssel. Die Forscher haben einen Blick zurück geworfen und die Entwicklung der vergangenen beiden Jahrzehnte analysiert. Ihr Fazit: „Die Osterweiterung hat trotz einiger Probleme zu Wohlstand und Stabilität geführt – sicherlich viel mehr als in einem alternativen Szenario, in dem die Region von der EU ausgeschlossen wäre.“

Erreichten die neuen Mitgliedsstaaten 2004 zwischen 30 und 75 Prozent der Wirtschaftsleistung der alten EU-Länder, waren es im vergangenen Jahr bereits gut 60 bis knapp 90 Prozent. Die Forscher sprechen von einer „Flut, die alle Boote der ost- und mitteleuropäischen Länder anhob, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße“. Einzelne Länder hätten immer mal wieder stärkere Wachstumsphasen erlebt als andere, insgesamt sei aber ein allgemeiner Aufholprozess zu beobachten gewesen, der zwischenzeitlich durch die Finanzkrise gedämpft wurde. 

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Erwartungsgemäß führten die anfänglich großen Einkommensunterschiede zur Abwanderung von Arbeitskräften von Ost nach West. Bereits 2007 waren über zwei Millionen Menschen mehr als 2004 aus den neuen Mitgliedsstaaten sowie Bulgarien und Rumänien in der alten EU registriert. Dennoch deuten Studien laut Watt und Andor darauf hin, dass selbst in Gebieten mit einer hohen Konzentration von Arbeitskräften aus Ost- und Mitteleuropa „die Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit und die allgemeinen Auswirkungen auf die Löhne begrenzt waren“. Dass es „einen dämpfenden Effekt auf die Entwicklung der Niedriglöhne gab“, sei jedoch anzunehmen. Ebenso haben Drohungen mit Produktionsverlagerungen Richtung Osteuropa wohl zum schwachen deutschen Lohnwachstum in den frühen 2000er-Jahren beigetragen. In den neuen EU-Ländern hatte die Abwanderung von Arbeitskräften zum Teil Engpässe zur Folge, etwa im Gesundheitswesen. Andererseits linderte sie auch soziale Probleme, weil sich Menschen, denen in ihrem Heimatland die berufliche Perspektive fehlte, im Ausland neue Chancen eröffneten. 

Die Angst vor einem „Sozialleistungstourismus“ hat sich als unbegründet erwiesen, wie umfangreiche Untersuchungen belegen: Beitragsunabhängige Sozialleistungen nehmen Zugewanderte nicht messbar häufiger in Anspruch als Einheimische, beitragsabhängige wie Arbeitslosengeld sogar seltener. 

Dass der bisherige wirtschaftliche und soziale Integrationsprozess zwar nicht friktionslos, aber im Großen und Ganzen erfolgreich verlief, verdankt sich laut der Analyse auch den ergriffenen politischen Initiativen. Die Kohäsionsfonds, die erhebliche finanzielle Mittel zur wirtschaftlichen Unterstützung der neuen Mitgliedsstaaten beisteuerten, die Einführung neuer Regeln zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping bei der Arbeitnehmerentsendung, die Europäische Arbeitsbehörde, die Europäische Säule der sozialen Rechte und weitere Programme haben ihren Anteil daran. Sie förderten ein integratives Wachstumsmodell statt neoliberaler Entwicklungspfade. Der nächste wichtige Schritt, so Watt und Andor, sei angesichts der markanten Schwäche des sozialen Dialogs und der kollektiven Tarifverhandlungen in vielen der damaligen Beitrittsländer die Umsetzung der europäischen Mindestlohnrichtlinie und deren Ausgestaltung auf nationaler Ebene. Zudem, so die Wissenschaftler, stehe die EU heute wieder vor einer möglichen Osterweiterung. Damit diese gelingt, müsse die Marktintegration mit umfangreichen Transfers und einer weiteren Vertiefung des sozialen Europas flankiert werden. Das zeige die Erfahrung der vergangenen zwanzig Jahre.

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