Quelle: HBS
Böckler ImpulsStudium: Gebühren contra Chancengleichheit
Deutsche Arbeiterkinder haben es besonders schwer, auf eine Hochschule zu kommen. Allgemeine Studiengebühren würden diesen Trend noch unterstützen.
Nach dem neuesten "Eurostudent Report 2005", einer Vergleichsstudie in acht europäischen Staaten, ist Deutschland das Schlusslicht in Sachen Chancengleichheit. Zwar ist auch in Österreich, Frankreich, Portugal, den Niederlanden, Finnland und Spanien die Bildungsbeteiligung der Kinder von Arbeitern geringer als deren Anteil an der Gesamtbevölkerung, aber: nicht so ausgeprägt wie in Deutschland.
Einzig in Irland entspricht der Anteil der Studierenden aus Arbeiterfamilien dem der Arbeiterschaft an der Gesamtbevölkerung.
In Deutschland ist der Anteil der Studierenden niedriger und mittlerer sozialer Herkunft seit 1982 immer weiter zurückgegangen, wie die 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2003 ausweist.
Das hat zunächst einen positiven Grund. Das Bildungsniveau der Bevölkerung ist in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt gestiegen. Die Arbeiterkinder der 60er- und 70er- Jahre, die erstmalig die Chance hatten zu studieren, schicken nunmehr ihre Kinder auch zur Universität. Gleichwohl unterscheidet sich die Bildungsbeteiligung von Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunftsgruppen bei genauerer Sicht dramatisch. Von 100 Kindern hoher sozialer Herkunft nehmen 81 ein Hochschulstudium auf. Dagegen gelangen von 100 Kindern sozial niedriger Herkunft nur 36 in die Sekundarstufe II und schließlich nur 11 in eine Universität oder Fachhochschule.
Warum vergleichsweise wenig Arbeiterkinder an deutschen Hochschulen studieren, lässt sich im Wesentlichen durch die frühe Selektion im deutschen Bildungsweg (Hauptschule - Realschule - Gymnasium) erklären und mit den Problemen der Sprösslinge aus Arbeiterfamilien, ihr Studium zu finanzieren.
Wie unzureichend das deutsche Schulsystem zur Chancengerechtigkeit beiträgt, offenbarte die erste Pisa-Studie: Der Einfluss des elterlichen Sozialstatus auf den Schulerfolg ihrer Kinder in Deutschland ist danach größer als in allen anderen an der Studie beteiligten Ländern.
Das 1971 eingeführte BAföG sollte die materiellen Grundlagen für bedürftige Studentinnen und Studenten schaffen. Dieser Anforderung ist es im Laufe der Jahre aber immer weniger gerecht geworden. Erhielten anfänglich 44 Prozent der Studierenden BAföG, waren es 1997 nur noch 19 Prozent. Aufgrund der BAföG-Novelle von 2001 erhielten im Jahre 2003 immerhin wieder 23 Prozent der Studierenden Leistungen nach dem BAföG.
Die Einführung allgemeiner Studiengebühren, wie insbesondere Baden-Württemberg sie vorantreibt, wäre bildungspolitisch ein Schritt zurück. Sie würde die materielle Lage von Arbeiterkindern an deutschen Hochschulen erneut verschlechtern.
Eurostudent Report 2005 - Social and economic conditions of student life in Europe 2005, Hochschul-Informations-System (HIS), Hannover 2005.
Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2003, 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt von HIS, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn/Berlin 2004.