Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitszeit: Fremdbestimmt ist ungesund
Wenn Beschäftigte länger arbeiten müssen als erwünscht, leidet die seelische Gesundheit. Das zeigen Auswertungen für Deutschland und Australien.
Feierabend haben immer mehr Beschäftigte mittags oder nachts: Zwar gelte die Fünftagewoche mit 40 Arbeitsstunden in den Industrieländern nach wie vor als Norm, doch hätten Teilzeit und extrem lange Arbeitszeiten deutlich zugenommen, so Steffen Otterbach, Mark Wooden und Yin King Fok. Die Ökonomen von den Universitäten Hohenheim und Melbourne haben untersucht, wie es sich auf die mentale Gesundheit auswirkt, wenn Wunsch und Wirklichkeit bei der Arbeitszeit auseinanderklaffen. Das Ergebnis: Schädlich für die Psyche ist vor allem Überbeschäftigung.
Die Forscher haben Daten des Sozio-oekonomischen Panels aus den Jahren 2002 bis 2012 und einer australischen Befragung aus den Jahren 2001 bis 2013 ausgewertet. In die Analyse eingeflossen sind Informationen zu 32.500 Deutschen und 18.700 Australiern. Als Maß für die seelische Gesundheit wurde ein Index verwendet, der Einschätzungen der Befragten zu verschiedenen Aspekten des psychischen Wohlbefindens zusammenfasst. Diskrepanzen zwischen tatsächlichen und Wunscharbeitszeiten wurden nur dann berücksichtigt, wenn die Abweichung mindestens vier Wochenstunden beträgt.
Wenn Faktoren wie das Alter, der Familienstand, das Haushaltseinkommen oder der Beruf herausgerechnet werden, schneiden überbeschäftigte Erwerbstätige signifikant schlechter bei der seelischen Gesundheit ab. Die Länge der Arbeitszeit an sich scheint dabei nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Insbesondere bei teilzeitbeschäftigten Frauen, die länger als erwünscht arbeiten müssen, sind die Auswirkungen ähnlich wie bei den Vollzeitarbeitnehmern. Bei Frauen ist der Effekt ohnehin stärker ausgeprägt als bei Männern und in Deutschland stärker als in Australien. Letzteres könnte nach Einschätzung der Wissenschaftler mit unterschiedlichen sozialen Normen zusammenhängen: Offenbar seien überlange Arbeitszeiten in Deutschland gesellschaftlich weniger akzeptabel.
Bei Unterbeschäftigung sind nur in Australien negative Effekte nachweisbar. Die Erklärung der Autoren: Dort gebe es einen hohen Anteil sogenannter „casual employees“, die nur auf Abruf tätig sind und weder Anrecht auf bezahlten Urlaub haben noch Kündigungsschutz genießen.
Steffen Otterbach, Mark Wooden, Yin King Fok: Working-Time Mismatch and Mental Health, SOEPpaper 843, März 2016