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Frauen kommen in der Coronakrise zu kurz Böckler Impuls

Gleichstellung: Frauen kommen in der Coronakrise zu kurz

Ausgabe 19/2021

Die Hilfsprogramme der Bundesregierung konnten Einkommen und Arbeitsplätze sichern. Frauen dürften sie aber weniger genützt haben als Männern.

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise könnten die Unterschiede zwischen den Geschlechtern vergrößert haben. So ist absehbar, dass 38 Prozent der Maßnahmen eher Männern zugutekommen als Frauen, während nur 21 Prozent mehr den Frauen als den Männern nutzen dürften. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom WSI geförderte Studie der Berliner Forscherin Regina Frey.

Die drei zentralen Corona-Hilfspakete der Bundesregierung umfassen der Untersuchung zufolge 108 abgrenzbare Einzelmaßnahmen. Dazu zählen die Ausweitung des Kurzarbeitsgeldes ebenso wie der Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende oder der Kinderbonus, die Innovationsprämie für E-Autos wie die Förderung von Gebäudesanierungen, Unterstützungszahlungen für Selbstständige oder die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Bei 86 der Maßnahmen konnte die Forscherin einen direkten Nutzen für bestimmte Personengruppen identifizieren. Hierzu zählen beispielsweise die Milderung von Einkommensausfällen aufgrund der Schließung von Betreuungsangeboten, Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung in der akuten Krise, Investitionen, aber auch Kredite, staatliche Garantien. Die Studie beruht auf plausibilisierten Annahmen zur Wirkung der Maßnahmen, denn bisher sind kaum Auswertungen zur tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfen und Förderungen zugänglich. 

Ob das jeweilige Instrument Frauen und Männern annähernd gleichermaßen nutzt oder einem Geschlecht mehr nutzen kann als dem anderen, ermittelte die Forscherin anhand unterschiedlicher Parameter. Beispiel Kurzarbeitsgeld: Es wird häufiger von Männern in Anspruch genommen als von Frauen. Hinzu kommt, dass die Lohnersatzleistung einen festen Prozentsatz des ausgefallenen Nettoeinkommens ersetzt. Das ist bei vielen verheirateten Frauen niedriger als bei Männern mit gleichem Bruttoeinkommen, weil sie die besonders ungünstige Steuerklasse V haben. Zudem verdienen Frauen insgesamt im Durchschnitt weniger und arbeiten besonders häufig in Minijobs, in denen kein Anspruch auf Kurzarbeitsgeld entsteht. 

Unter dem Strich kommt die Auswertung zu dem Ergebnis, dass beide Geschlechter von 35 der 86 Maßnahmen annähernd gleich stark profitieren dürften. In 33 Fällen dürfte der absehbare Nutzen eher bei den Männern liegen. Lediglich bei 18 Maßnahmen ist zu erwarten, dass sie Frauen stärker als Männern zugutekommen. Die Maßnahmen, die eher Männern nutzen, umfassen oft ein besonders großes finanzielles Volumen. Rund zwei Drittel der eingesetzten rund 600 Milliarden Euro, die sich 78 der 86 Maßnahmen direkt zuordnen lassen, flossen oder fließen in Instrumente, die Männern erwartbar mehr nutzen als Frauen, nur 7 Prozent des Volumens kommen wahrscheinlich Frauen stärker zugute als Männern. Auch längerfristige positive Beschäftigungseffekte durch Investitionen sind vor allem in Branchen zu erwarten, in denen bislang deutlich mehr Männer als Frauen arbeiten.  

„Auch wenn die Entscheidungen unter hohem Zeitdruck erfolgen mussten, wurde die unbedingt notwendige und längst vorgeschriebene Abschätzung von Gesetzesfolgen auf die Gleichstellung ausgerechnet bei diesen Multi-Milliarden-Paketen offenbar nicht effektiv vorgenommen“, sagt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Dies sei ein Beispiel für eine geschlechterblinde Politik, wie es sie im Jahr 2021 eigentlich nicht mehr geben sollte. 

Für die neue Bundesregierung gebe es in Sachen Gleichstellungspolitik viel zu tun. Dazu zählt Kohlrausch nicht nur eine bessere Evaluierung von Gesetzesfolgen, sondern auch eine Politik, die „mehr existenzsichernde Beschäftigung für Frauen“ fördere. Dazu gehöre neben weiteren Investitionen in öffentliche Kinderbetreuung und das Sozial- und Gesundheitswesen insgesamt auch der Abbau von falschen Anreizen wie der Privilegierung von Minijobs und dem Ehegattensplitting.

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