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HBS Böckler Impuls

Gesundheitspolitik: Fonds à la hollandaise

Ausgabe 13/2006

Einen "Gesundheitsfonds" haben die Niederländer schon seit Jahren. Bei der jüngsten Reform wurde seine Bedeutung gestärkt. Auch wenn längst nicht alles übertragbar ist: Die deutsche Gesundheitspolitik könnte von den Nachbarn lernen, zeigt eine aktuelle Expertise. Die Pläne der Bundesregierung greifen hingegen zu kurz.

Gerade ein halbes Jahr ist die neueste niederländische Gesundheitsreform in Kraft. Nun hat sie eine Forschergruppe um Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Zum 1. Januar 2006 wurde die "zweite Versicherungssäule", die die Akutversorgung finanziert, umgebaut. Kernpunkt: Die soziale Krankenversicherung - sie ähnelt der Gesetzlichen Krankenversicherung, GKV, in Deutschland - und private Assekuranzen (PKV) arbeiten nun unter gleichen Wettbewerbsbedingungen.

Damit reagierte die niederländische Politik auf das Votum wissenschaftlicher Kommissionen, wonach die alte Aufteilung des Krankenversicherungsmarktes ungerecht und ineffizient war. Zuvor durften sich Beschäftigte mit mehr als 33.000 Euro Jahreseinkommen nur privat versichern; wer weniger verdiente, musste in die soziale Krankenversicherung. Jetzt können alle Niederländer ihren Versicherer frei wählen - etwa 20 Prozent nutzten die neue Freiheit bisher für einen Wechsel.

Nun fließt Geld aus ganz unterschiedlichen Quellen ins integrierte niederländische Gesundheitssystem: Etwa die Hälfte der Beiträge wird abhängig vom Einkommen der Versicherten erhoben. Dabei zählen auch Kapitaleinkünfte mit. Die andere Beitragshälfte stammt aus einer Pauschalprämie von durchschnittlich knapp 90 Euro pro Monat und Versichertem. Die jüngste Reform machte damit aus der "kleinen Pauschale", die die Niederländer schon länger zahlten, eine "große". Zusätzlich überweist der Staat aus dem Steuertopf  die Beiträge für Kinder und Jugendliche sowie Beitragssubventionen für Versicherte mit geringerem und mittlerem Einkommen.

=> "Isolierte Übernahme ergibt kein Konzept"

Um Mehrbelastungen zu vermeiden, erhöhte die Regierung parallel das Kindergeld und die Renten. Außerdem senkte sie die Unternehmensteuer. Für die Wirtschaft ist die Reform als Nullsummenspiel angelegt; unter den privaten Haushalten profitieren derzeit 80 Prozent, insbesondere Haushalte mit Kindern. Das liegt auch an den staatlichen Zuschüssen zum Pauschalbeitrag. In dieser Subventionierung steckt allerdings auch ein Risiko, warnen die Forscher: Der Finanzminister könnte in konjunkturellen Problemphasen die Zuschüsse infrage stellen. Dann kämen auf Versicherte mit geringerem Einkommen hohe Lasten zu. Grund: Der große Anteil der Pauschalprämie am Gesamtbeitrag.

Als direktes Vorbild für Deutschland verstehen die Forscher die neueste Polder-Reform auch deshalb nicht. Trotzdem empfehlen sie, sich stärker an den Nachbarn zu orientieren. Die Pläne der Bundesregierung, den Gesundheitsfonds lediglich die Beitragseinnahmen der GKV verteilen zu lassen und zudem eine "kleine" Pauschale einzuführen, griffen entschieden zu kurz, kritisiert Gesundheitsökonom Wasem: "Diese isolierten Übernahmen ergeben kein Konzept." Um das zu erreichen, seien drei weitere Elemente wichtig - und auch in Deutschland "politisch konsensfähig":

  • Eine Beitragspflicht für weitere Einkunftsarten, etwa aus Kapitalvermögen, in den gesetzlichen Krankenkassen würde die Finanzierung stärken. Der Einzug ist ohne bürokratischen Aufwand möglich, zeigen die Niederlande.
  • Das bisherige Verhältnis von PKV und GKV führt zu einer Risikoselektion zu Gunsten der PKV. Diese hat im Durchschnitt jüngere und besser verdienende Mitglieder. Ähnlich wie in den Niederlanden könnte das durch Ausgleichszahlungen an die GKV kompensiert werden.
  • Eine Angleichung des Vergütungsniveaus beseitigt die Anreize für Ärzte, privat Versicherte bevorzugt zu behandeln. Der Blick zum Nachbarn zeigt, dass eine Angleichung kostenneutral möglich ist: Die Vergütungen für GKV-Mitglieder würden steigen, die für PKV-Mitglieder sinken.

 

  • Ein Schaubild über die Zahlungsströme des niederländischen Gesundheitssystems. Zur Grafik

Stefan Greß, Maral Manouguian, Jürgen Wasem: Krankenversicherungsreform in den Niederlanden, Expertise für die Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2006.

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