Quelle: HBS
Böckler ImpulsÄltere Beschäftigte: Flexible Wege zur Rente kaum beschritten
Der Übergang in die Rente ist starrer geworden. Betriebliche und tarifliche Vereinbarungen sollten das auffangen. Bislang ist das jedoch nicht gelungen.
Einen grundlegenden Wandel des deutschen Rentensystems hin zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit konstatieren die Sozialwissenschaftler Norbert Fröhler, Thilo Fehmel und Ute Klammer in einer aktuellen Studie für die Hans-Böckler-Stiftung: Die Möglichkeiten, vorzeitig in Rente zu gehen, wurden stark begrenzt. Zugleich wurde durch die Absenkung des Rentenniveaus und die Einführung von Abschlägen der finanzielle Spielraum für einen vorzeitigen Rentenbezug erheblich eingeengt. Diese Entflexibilisierung des staatlichen Rentenübergangs, so die Idee der Politik, sollten tarifliche und betriebliche Vereinbarungen auffangen. Dass dies nicht gelungen ist, zeigen Daten zur Nutzung der vorhandenen Übergangsinstrumente. Gegenwärtig sei einzig die Altersteilzeit einigermaßen verbreitet, schreiben die Forscher. Etwa jeder zweite Betrieb bietet die Möglichkeit, im aktiven Teil der Arbeitszeitverkürzung normal weiterzuarbeiten und dann im passiven Teil früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.
Für ihre Studie nutzen die Wissenschaftler Daten aus der WSI-Betriebsrätebefragung 2010. Die Erhebung ist repräsentativ für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und einer Interessenvertretung. Aufgrund des Befragungszeitraumes ergeben sich allerdings Interpretationsprobleme: Erst Ende 2009 ist die staatliche Förderung der Altersteilzeit ausgelaufen – im Schnitt 13.000 Euro pro Fall. Die Forscher gehen aber dennoch davon aus, dass die Altersteilzeit auch künftig eine zentrale Rolle spielen wird, wenn auch mit erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Branchen.
Daneben untersuchten sie weitere Übergangsinstrumente:
- Langzeitkonten bieten die Möglichkeit, ein Stundenkontingent anzusparen, um früher oder gleitend aus dem Erwerbsleben aussteigen zu können.
- Vorzeitige Teilrenten ermöglichen einen Zuverdienst. Die Summe aus Teilrente und Gehalt darf aber den vorherigen Verdienst nicht übersteigen.
- Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Betrieb das Arbeitslosengeld bis zur Rente aufstockt.
- Die Beschäftigten gehen in den Vorruhestand, arbeiten aber noch in geringem Umfang im Unternehmen weiter.
- Der Betrieb fängt die Einbußen einer vorzeitigen Rente ganz oder teilweise auf.
Angebot und Nachfrage: Abgesehen von der Altersteilzeit werden die Übergangsinstrumente nur in wenigen Unternehmen angeboten, zeigt die Befragung. Auch wünschen sich die Beschäftigten kaum, dass solche Angebote überhaupt gemacht werden. Allein die Langzeitkonten stechen dabei heraus: In etwa jedem vierten Betrieb besteht daran Interesse. Die Forscher führen dies unter anderem darauf zurück, dass die Erfahrungen mit Arbeitszeitkonten in der jüngsten Wirtschaftskrise das Instrument bekannter gemacht und entsprechende Erwartungen geweckt haben.
Verteilung nach Einkommen: Noch am häufigsten nutzen Beschäftigte mit einem mittleren Einkommen die untersuchten Instrumente. Insbesondere die unteren Gehaltsgruppen können sich einen früheren Renteneintritt offenbar nicht leisten. Die wenigen, die es doch tun, greifen häufig auf Teilrenten- und Vorruhestandsmodelle zurück.
Gesundheitliche Gründe: Wer die betrieblichen Übergangsmöglichkeiten nutzt, hat in der Regel auch mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. So weisen die Hauptnutzer von Teilrenten in jedem vierten Betrieb starke gesundheitliche Einschränkungen auf, in weiteren 48 Prozent der Betriebe haben sie zumindest gesundheitliche Probleme. Ähnlich ist es beim aufgestockten Arbeitslosengeld: In jedem fünften Betrieb haben die Hauptnutzer schwere gesundheitliche Probleme, in weiteren 44 Prozent der Betriebe weisen sie zumindest einige gesundheitliche Einschränkungen auf.
Konflikte: Tariflich am stärksten reguliert ist Altersteilzeit, gefolgt von Langzeitkonten. Verhandlungen zu diesen Instrumenten verlaufen in jedem zweiten Betrieb konfliktfrei. Bei den übrigen kommt es deutlich häufiger zu Auseinandersetzungen. Streitpunkt sind dabei vor allem die Kosten für das Unternehmen. Schwierigkeiten sehen Betriebsräte auch in zu komplizierten rechtlichen und tariflichen Rahmenregelungen.
Um eine Überforderung der Betriebsparteien mit der Übergangsgestaltung zu vermeiden, sei eine innovative Tarifpolitik nötig, so die Forscher. Allerdings werde auch die tarifliche Gestaltung des flexiblen Übergangs in den Ruhestand „früher oder später immer“ an strukturelle Grenzen stoßen. Die Auswertung der Daten habe gezeigt, „dass die Regulierung des Rentenübergangs auch in Zukunft vornehmlich Aufgabe staatlicher Sozialpolitik bleiben muss“.
Norbert Fröhler, Thilo Fehmel, Ute Klammer: Endbericht des Forschungsprojekts „Re-Flexibilisierung des Rentenübergangs? Gesetzliche, tarifliche und betriebliche Optionen der Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente“, erscheint 2013.