Quelle: HBs
Böckler ImpulsArbeitszeit: Flexible Arbeitszeiten, starre Rollenmuster
Homeoffice und selbstbestimmte Arbeitszeiten erleichtern die Vereinbarkeit von Job und Familie. Aber verhelfen sie auch zu mehr Erholung? Nein, zeigt eine Studie.
Mütter und Väter nutzen flexible Arbeitsmodelle unterschiedlich: Während die Männer mehr Überstunden machen, nehmen sich die Frauen mehr Zeit für Kinderbetreuung. Damit kann flexibles Arbeiten die klassische Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern festigen oder sogar verstärken. Mehr Freizeit haben beide durch flexible Arbeitszeiten nicht. Das zeigt eine Studie der WSI-Forscherin Yvonne Lott. Sie hat untersucht, wie sich verschiedene Arbeitszeitarrangements bei Frauen und Männern auf die Erholungszeiten auswirken.
Wer nicht um Punkt sieben Uhr auf der Matte stehen muss, sondern seinen Arbeitsbeginn im Rahmen einer Gleitzeitregelung selbst bestimmen kann, hat es leichter – wenn der Nachwuchs morgens zu lange trödelt, wird die verlorene Zeit eben nachmittags aufgeholt. Noch flexibler können Beschäftigte die Arbeitszeit handhaben, wenn sie von Zuhause arbeiten dürfen. Anhand von Daten des Sozio-oekonomischen Panels, einer ausführlichen Befragung, an der mehrere tausend Haushalte teilnehmen, hat WSI-Wissenschaftlerin Lott ermittelt, wie viel Zeit am Ende auf Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und andere Aktivitäten entfällt.
Mütter, die im Homeoffice arbeiten, kommen demnach in der Woche auf drei Stunden mehr Betreuungszeit für die Kinder als Mütter, die nicht zu Hause arbeiten können. Bei Vätern sieht es anders aus: Sie machen im Homeoffice mehr Überstunden, nehmen sich aber nicht mehr Zeit für die Kinder.
Noch mehr Überstunden machen Männer, die zwar nicht daheim bleiben, aber völlig frei über ihre Arbeitszeiten entscheiden können. Auch mit diesem Modell ändert sich ihr Anteil an der Kinderbetreuung nicht. Männer wenden während der Arbeitswoche etwa zehn Stunden für Kinderbetreuung auf, Frauen 20 Stunden.
Grundsätzlich führen flexible Modelle im Schnitt zu längeren Arbeitszeiten, so Lott. Bei Männern sei dieser Effekt deutlicher ausgeprägt als bei Frauen. Wobei Letztere gleichzeitig mehr Zeit für die Kinder aufwenden, was traditionelle Rollenmuster befördern könne. Aber profitieren Beschäftigte von flexiblen Zeitmodellen wenigstens in Form zusätzlicher Erholungszeit? Lotts Fazit ist eindeutig: „Einen Freizeitgewinn gibt es weder für Mütter noch für Väter.“
Um die Gleichstellung zu fördern und die zeitliche Belastung von Eltern zu reduzieren, gäbe es der Forscherin zufolge eine Reihe politischer Maßnahmen: Die Zahl der Partner-Monate beim Elterngeld könnte von zwei auf sechs erhöht werden, um Anreize für Väter zu schaffen, sich stärker in der Kinderbetreuung zu arrangieren. Hinzukommen sollte ein Recht auf Familienarbeitszeit, das Männern die Teilzeitarbeit schmackhaft macht. Da das Ehegattensplitting anscheinend eine ungleiche Verteilung zwischen den Partnern fördert, sollte es abgeschafft werden. Zudem hält Lott ein Recht auf Homeoffice für sinnvoll. Doch auch die Sozialpartner sind gefragt: Eine „lebenslauforientierte Personalpolitik“ würde Beschäftigten in privat besonders belastenden Phasen mehr Luft verschaffen. Führungskräfte sollten überkommene Rollenbilder und die Vorstellung infrage stellen, lange Präsenz im Betrieb sei gleichbedeutend mit hoher Motivation. Dafür könnten Unternehmen Schulungen anbieten. Schließlich sollten klare Regeln für Homeoffice und selbstbestimmte Arbeitszeiten geschaffen werden, um Selbstausbeutung zu verhindern, rät Lott. Da, wo völlig autonom oder zu Hause gearbeitet wird, kann auch eine Zeiterfassung helfen. In mitbestimmten Betrieben könnte der Betriebsrat dazu Regeln aushandeln, die für alle gelten.
Yvonne Lott: Weniger Arbeit, mehr Freizeit? (pdf) WSI-Report Nr. 47, März 2019