Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarkt: Flexibilität statt Sicherheit
Nicht nur Teilzeit, Minijobs oder Leiharbeit machen dem Normalarbeitsverhältnis Konkurrenz. In Europa breiten sich zahlreiche neue Beschäftigungsformen aus. Sie bieten Unternehmen maximale Flexibilität und Arbeitnehmern oft wenig sozialen Schutz.
Arbeit auf Abruf, Firmen, die sich ihre Mitarbeiter teilen, Bezahlung mit Gutscheinen, Einzelauftrag per Internet statt Arbeitsvertrag: In den vergangenen Jahren sind viele neue Arrangements an die Seite des klassischen Beschäftigungsverhältnisses getreten. Auch wenn die meisten dieser Arbeitsmodelle zahlenmäßig derzeit noch keine große Rolle spielen, ist absehbar, dass sie sich weiter verbreiten werden. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hat die neuen Beschäftigungsformen systematisiert und auf Vor- und Nachteile für die Erwerbstätigen abgeklopft.
Die Forscher unterscheiden neun Modelle:
Crowdsourcing. Bei dieser Art der Auslagerung von Aufgaben vergeben Firmen die Aufträge nicht auf traditionellem Wege an externe Dienstleister, sondern nutzen Onlineplattformen zur Ausschreibung. Oft werden größere Vorhaben in kleine Arbeitspakete zerlegt, um die sich dann einzelne Arbeitsuchende bewerben. Im Regelfall geht es dabei um Computerarbeiten.
Gutscheinsysteme. In Österreich, Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien oder Litauen können private Arbeitgeber Gutscheine erwerben, mit denen sie Hilfskräfte in Haushalt oder Landwirtschaft bezahlen. Mit diesem staatlich geförderten Modell erhalten die Auftraggeber die Möglichkeit, auf unbürokratische, aber legale Weise einzelne Arbeitsstunden einzukaufen. Gutschein-Arbeiter sind oft geringqualifiziert oder arbeitslos gemeldet.
Gelegenheitsbeschäftigung. Arbeitnehmer haben keine vertraglichen Ansprüche auf bestimmte, regelmäßige Arbeitszeiten. Dies gilt etwa für Saisonarbeit oder diverse Formen von Arbeit auf Abruf. Solche Stellen gewannen etwa in den 2000er-Jahren in Schweden an Bedeutung. Auch in Großbritannien und Italien sind sie verbreitet. Diese Beschäftigungsform sehen die Arbeitsmarktexperten am kritischsten. Wie im Fall von Gutscheinarbeit und von Crowdsourcing sei damit oft große Einkommensunsicherheit verbunden.
Mobile Computerarbeit. Der Anteil der „unsichtbaren“ Mitarbeiter, die nur noch gelegentlich den Firmensitz aufsuchen, wächst allerorten. Dabei unterscheiden sich die Vertragsformen: Während Telearbeiter in Finnland oder Frankreich meist Angestellte sind, haben sie in Spanien oder Dänemark häufig einen Selbstständigenstatus.
Portfolioarbeit. Damit sind Arrangements gemeint, bei denen ein Erwerbstätiger mehrere Arbeit- oder Auftraggeber hat. Üblich ist das etwa in der Medienbranche.
Selbstständigen-Kooperativen. Selbstständige nutzen etwa Büroräume gemeinsam oder lassen Verwaltungsaufgaben zentral erledigen. Die Kooperativen dienen aber nicht nur der Kostenersparnis, sondern auch zum Ideenaustausch.
Mitarbeiter-Sharing. Bei dieser Beschäftigungsart teilen sich mehrere Arbeitgeber die Beschäftigten. Zum Beispiel schließen sich mehrere kleine Firmen zusammen und bilden einen gemeinsamen Personalpool. Eurofound spricht in diesem Fall von strategischem Mitarbeiter-Sharing. Solche „Arbeitgeberzusammenschlüsse“ sind in Deutschland bisher eher selten, aber zum Beispiel in der französischen Landwirtschaft recht verbreitet. Eine andere Variante besteht darin, dass Unternehmen bei schwacher Auftragslage Beschäftigte an andere Firmen verleihen.
Jobsharing. Hier teilen sich zwei oder mehr Beschäftigte eine Vollzeitstelle. Solche Teilzeitarrangements sind hierzulande zwar schon lange üblich, in anderen, vor allem osteuropäischen Ländern aber erst in jüngerer Zeit auf dem Vormarsch.
Interimsmanagement. Damit ist eine spezielle Form der Leiharbeit für Hochqualifizierte gemeint: Sie werden von ihrem Arbeitgeber in andere Unternehmen geschickt, um dort bestimmte Projekte zu erledigen.
Hinter all diesen neuen Beschäftigungsformen steht Eurofound zufolge ein Grundkonzept: Flexibilität. Davon profitieren Arbeit- oder Auftraggeber immer, die Beschäftigten oder Subunternehmer jedoch in vielen Fällen nicht. Zudem bestehe die Gefahr, dass Beschäftigte sich überarbeiten und die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zerfließt. Die Verantwortung für Arbeits- und Gesundheitsschutz werde bei der Heimarbeit oft den Erwerbstätigen allein aufgebürdet. Eurofound rät daher, Beobachtungsstellen zu gründen, die neue Arbeitsmarktentwicklungen verfolgen und für Beschäftigte als Anlaufstelle dienen können, um Missstände zu melden – so wie viele Gewerkschaften es bereits getan haben.
Auch wenn die Forscher anerkennen, dass sich viele Arbeiten heute nicht mehr ohne Weiteres in traditioneller Weise organisieren lassen und die neue Arbeitswelt auch Vorteile für die Werktätigen hat, kommen sie mindestens in einer Hinsicht zu einem ernüchternden Fazit: Mehr Beschäftigung entsteht durch die neuen Modelle kaum. Häufig werden reguläre Stellen ersetzt.
Irene Mandl, Maurizio Curtarelli, Sara Riso, Oscar Vargas, Elias Gerogiannis: New forms of employment (pdf), März 2015