Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitswelt: Flexibilität braucht Grenzen
Die eigene Arbeitszeit flexibel gestalten – das ermöglichen Modelle wie Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit. Doch nicht allen Beschäftigten bringen sie die erhofften Freiheiten.
Arbeit wird räumlich und zeitlich flexibler. Ergibt sich daraus aber wirklich eine ausgewogenere Work-Life-Balance? Ja, wenn die Beschäftigten selbstbestimmt über ihre Arbeitszeit entscheiden dürfen. Wenn aber betriebliche Anforderungen die bestimmenden Faktoren sind, dann gehen flexible Arbeitszeitmodelle zulasten des Privatlebens. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Analyse von Alexander Piele und Christian Piele vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Die Forscher haben untersucht, wie verbreitet flexible Arbeitszeitmodelle sind und wie Beschäftigte darüber denken. Dazu haben sie Daten der IG Metall-Beschäftigtenbefragung 2017 ausgewertet.
Gleitzeit ist das am weitesten verbreitete Modell unter jenen, die keine Schichtdienste haben. Auf dem Vormarsch ist aber auch die Vertrauensarbeitszeit, besonders unter Führungskräften. Ein Viertel der Hochschulabsolventen aus der mittleren und oberen Führungsebene der Metall- und Elektroindustrie arbeitet inzwischen in diesem Modell, bei dem weder eine Zeiterfassung noch eine Zeitkontrolle durch den Arbeitgeber erfolgt. Sehr häufig wird die Vertrauensarbeitszeit mit mobiler Arbeit kombiniert.
Einerseits gilt: Je stärker die Beschäftigten selbst über ihre Arbeitszeit entscheiden können, umso besser schätzen sie die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ein. Andererseits geht eine zunehmende Arbeitsintensivierung klar zulasten dieser Selbstbestimmung, da sie jeden Spielraum nimmt. Ein bedeutender Faktor für die Zufriedenheit der Beschäftigten ist außerdem Planbarkeit. Fehlt sie, so werden fremdbestimmte Arbeitszeiten als besonders negativ empfunden.
Bei Vertrauensarbeitszeit zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen den tatsächlichen und den vertraglichen Arbeitszeiten – die Beschäftigten arbeiten häufig mehr als sie müssten, oder sogar über die gesetzlichen Grenzen hinaus. Überstunden verfallen häufiger als bei Gleitzeit. „Auch an Wochenenden arbeiten Beschäftigte mit Vertrauensarbeitszeit nicht selten außerhalb ihrer Regelarbeitszeit. Hier zeigen sich klare Einschnitte in das soziale Leben der Beschäftigten“, schreiben die Forscher.
„Es zeigt sich, dass die Flexibilität ein zweischneidiges Schwert ist – neben Chancen auf Selbstbestimmung bestehen auch die Gefahren von ausufernden Arbeitszeiten und Entgrenzung“, erklären die Arbeitswissenschaftler. Vor allem die Umsetzung der Vertrauensarbeitszeit gelinge bisher nur in den wenigsten Fällen zugunsten der Beschäftigten. Das Modell der Gleitzeit könne bei gleicher Flexibilität „deutlich mehr Schutz vor unkontrollierten negativen Auswüchsen“ bieten.
Christian Piele, Alexander Piele: Flexible Arbeitszeiten – Arbeitszeitmodelle und Flexibilitätsanforderungen. Eine Analyse des Verarbeitenden Gewerbes auf Basis der IG-Metall-Beschäftigtenbefragung 2017, Mai 2018