Öffentliche Investitionen: Finanzpolitische Zeitenwende
Massive Investitionen sowohl in die Verteidigung als auch in die Infrastruktur sind eine angemessene Antwort auf die ökonomische und weltpolitische Malaise.
Union und SPD haben sich mit den Grünen darauf geeinigt, Verteidigungsausgaben ab einer Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Schuldenbremse auszunehmen und über ein Sondervermögen 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur zu investieren. Laut IMK-Direktor Sebastian Dullien sind die Pläne geeignet, „eine echte Zeitenwende auch für die Finanzpolitik“ einzuleiten. Verantwortlich für die deutsche Wachstumsschwäche seien die Unsicherheit über den weiteren finanzpolitischen Kurs, hektisches Kürzen und Abgabenerhöhungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse und eine weiter verfallende Infrastruktur gewesen. Mit einem Finanzpaket, das sowohl für Verteidigung als auch für Infrastruktur mehr Geld vorsieht, könnten schnell stabile Rahmenbedingungen geschaffen und die dringend notwendige Sanierung der Infrastruktur auf den Weg gebracht werden. „Damit dürfte auch die Stimmung bei den Unternehmen schnell nach oben drehen, weil sich absehbar die Standortbedingungen in Deutschland verbessern.“
Bislang ist das IMK für das laufende Jahr von einem Mini-Wachstum von nur 0,1 Prozent ausgegangen. Gelingt die schnelle Umsetzung eines umfassenden Finanzpakets, sei bereits in der zweiten Jahreshälfte mit einer deutlichen Beschleunigung des Wachstums zu rechnen, erklärt Dullien. Das würde zwar aus statistischen Gründen das Jahr 2025 nicht mehr groß beeinflussen. Für die kommenden Jahre wären aber wieder normale Wachstumsraten von jeweils 1,5 bis 2 Prozent möglich – solange keine neuen Schocks der Wirtschaft zusetzen.
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Der Ökonom hebt hervor, dass das Sondervermögen Infrastruktur den größten Teil des vom IMK und dem Institut der deutschen Wirtschaft gemeinsam berechneten Bedarfs in Höhe von 600 Milliarden Euro über zehn Jahre abdecken würde. Generell müsse darauf geachtet werden, dass finanzierte Projekte technisch reibungslos umgesetzt werden. Die Regierung sollte Planungsverfahren straffen, zugleich müsse sichergestellt werden, dass Gelder für Investitionen nicht missbräuchlich anderweitig verwendet werden.
Deutschland wären mehrere wirtschaftspolitisch verlorene Jahre erspart geblieben, wenn die Politik früher umgesteuert hätte, betont Dullien. „Trotzdem ist der Union hoch anzurechnen, dass sie nun die Notwendigkeit der Reform des Finanzrahmens eingesehen hat.
Die Schuldenbremse war nie eine ökonomisch gute, sondern lediglich eine Schönwetterkonstruktion. Sie hat für die 2010er-Jahre einigermaßen gut funktioniert. Danach hat sie Deutschland vor allem geschadet.“ Es sei eine gute Nachricht für das Land, dass sich die Union jetzt „pragmatisch auf eine Problemlösung einlässt. Wenn die neue Regierung auch in anderen Bereichen derart handelt, könnte sich vieles in Deutschland zum Besseren wenden.“
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Union und SPD planen massive Investitionen. Was dieser Kurswechsel für Deutschland bedeutet, ordnet IMK-Direktor Sebastian Dullien im Podcast Systemrelevant ein.
Wie wichtig es ist, in der aktuellen Situation auch massiv in die öffentliche Infrastruktur zu investieren, illustriert eine Kurzstudie von Dullien, die auf Ergebnissen der IMK-Forscher Sebastian Watzka und Christoph Paetz aufbaut. Diese hatten anhand von Simulationsrechnungen gezeigt, dass auch bei einer zusätzlichen Kreditaufnahme für Investitionen von 600 Milliarden Euro über die kommenden zehn Jahre die Schuldenquote Deutschlands kontinuierlich weiter fallen und selbst kurzfristig den aktuellen Wert von knapp über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht üb Auf lange Sicht besser finanzierte Bundeswehr erschreiten würde.
Auf lange Sicht besser finanzierte Bundeswehr
Eine zusätzliche Kreditaufnahme von 200 Milliarden Euro für Verteidigung würde nach Dulliens neuen beispielhaften Berechnungen zwar für das Jahr 2035 die Schuldenquote um etwa 3,5 Prozentpunkte erhöhen, diese bliebe aber deutlich unter 70 Prozent – weit unter dem Niveau, das andere Länder der G7-Gruppe aktuell aufweisen. Angesichts der gegenwärtigen Ausnahmesituation sei das ein „absolut vertretbarer Preis“, sagt der Wissenschaftler.
Mittel- und längerfristig würde ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm sogar die nachhaltige Finanzierung von Verteidigungsausgaben erleichtern. Denn wie die Studie von Watzka und Paetz zeigt, erhöht es nach einigen Jahren massiv die Wirtschaftsleistung – und damit die Einnahmen der öffentlichen Hand. Die Regierung hätte mehr Spielraum für Verteidigungsausgaben, ohne an anderer Stelle kürzen zu müssen.
So ergibt sich in einem konservativen Szenario, bei dem positive Zusammenhänge zwischen mehr öffentlichen und zusätzlichen privaten Investitionen nur rudimentär betrachtet werden, bis 2045 durch das Investitionsprogramm ein kumulierter Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts um rund 2130 Milliarden Euro. In einem realistischen Szenario, das diese mittlerweile in der Forschung gut belegten Zusammenhänge einbezieht, sogar um gut 4750 Milliarden Euro. Bei einer Steuer- und Abgabenquote von knapp 50 Prozent ergeben sich so für die öffentliche Hand zusätzliche Einnahmen von gut 1000 Milliarden Euro nach konservativer Schätzung oder mehr als 2300 Milliarden im realistischen Szenario, rechnet Dullien vor. „Oder anders ausgedrückt: Selbst nach konservativer Schätzung ergäben sich etwa fünfmal so viele zusätzliche Staatseinnahmen, wie heute für ein neues Sondervermögen Bundeswehr diskutiert werden, im realistischen Szenario mehr als elfmal so viele Einnahmen.“
Schließlich wäre eine öffentliche Investitionsoffensive auch für eine andere Frage wichtig, die angesichts der veränderten geopolitischen Lage gestellt wird: Wie könnte die deutsche Wirtschaft eine – ebenfalls diskutierte – Wiedereinführung der Wehrpflicht verkraften? Schließlich könnte das zu verschärftem Fach- und Arbeitskräftemangel führen. Dullien geht auch bei diesem Thema von entlastenden Effekten aus: „Da eine Modernisierung der Infrastruktur die Produktivität der Beschäftigten in der Wirtschaft insgesamt erhöht, könnte der höhere Personalbedarf der Bundeswehr durch eine Wehrpflicht besser verkraftet werden.“
Sebastian Dullien: Eine Lockerung der Schuldenbremse nur für Verteidigung wäre ökonomisch falsch, IMK-Kommentar Nr. 13, März 2025