Quelle: HBS
Böckler ImpulsFiskalpakt: Finanzpolitik: Flexibilität ist gefragt
Mit dem Fiskalpakt hat sich die Politik selbst die Hände gebunden. IWF-Chefin Christine Lagarde regt nun an, die unrealistische Verschuldungsgrenze anzuheben. Das wäre ein Fortschritt, löst aber das grundsätzliche Problem nicht.
Nichts spricht dagegen, sich Ziele zu setzen. Und die öffentliche Verschuldung im Rahmen zu halten, ist ein erstrebenswertes Ziel. Andererseits gilt: Wer sich der wechselhaften Wirklichkeit nicht stellt, sondern nur an seine Grundsätze klammert, wird über kurz oder lang scheitern. So sei es auch mit dem europäischen Fiskalpakt, analysiert Gustav Horn: Seine starren Grundsätze richteten mehr Schaden an, als sie nützen – was sich vor allem an den sozialen Folgen der drastischen Sparprogramme in Südeuropa und der Wachstumsschwäche im Euroraum ablesen lässt. Daher begrüßt der wissenschaftliche Direktor des IMK zwar, dass die IWF-Chefin die „realitätsferne“ Verschuldungsobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nun infrage gestellt hat. Allerdings sei nichts damit gewonnen, die Zahl 60 durch eine andere zu ersetzen. Sinnvoller wäre es, die Grenze ganz abzuschaffen, so der Wissenschaftler. Denn erstens existiere keine schlüssige ökonomische Begründung für den bisherigen oder irgendeinen anderen Wert. Zweitens zeige die aktuelle wirtschaftliche Lage in Europa, wie problematisch das Konzept „starrer wirtschaftspolitischer Regelbindungen“ sei. Jeder neu festgesetzte Wert könne sich über kurz oder lang wieder als unhaltbar erweisen. Dann müsste die Politik ihn erneut korrigieren und würde auf Dauer ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Gefordert sei stattdessen eine „fiskalische Flexibilität, die Verschuldung wie auch Entschuldung an den jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert“.
Es gehe nicht darum, der Politik einen Freibrief zum Schuldenmachen auszustellen, sagt Horn. Aber die starre finanzpolitische Regelbindung habe sich schon vor der Krise als Bremse für Wachstum und Beschäftigung erwiesen. Heute stehe sie einer wirtschaftlichen Erholung erst recht im Wege, zumal die Schuldenregeln des früheren Maastricht-Vertrags mit seiner Umwidmung zum Fiskalpakt Anfang 2013 noch einmal verschärft wurden. Wer das Prinzip der Deckelung heute verteidige, müsse sich außerdem im Klaren sein, welche ökonomische Ideologie dahinter stehe: der unbedingte Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes und einen wirtschaftspolitisch schwachen Staat. Wie der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister erläutert, sollte der Staat nach den Vorstellungen marktradikaler Regelbindungs-Anhänger nicht nur die Finanzmärkte deregulieren und auf Vollbeschäftigungspolitik verzichten. Mit verbindlichen Ausgaben- und Schuldengrenzen haben sie ihn außerdem dazu gebracht, sich selbst die Hände binden, um die Marktergebnisse nicht zu beeinträchtigen. Und die sozialen Konsequenzen seien verheerend, so Horn.
Der Fiskalpakt – Hauptkomponente einer Systemkrise (pdf), WIFO Working Paper 480/2014, November 2014