Quelle: HBS
Böckler ImpulsEhegattensplitting: Familien fördern statt Einverdienst-Ehen
Weniger Steuerprivilegien für Ehepaare könnten die Familienförderung voranbringen. Das scheint nur oberflächlich paradox. Mit einer verfassungskonformen Alternative zum Ehegattensplitting lassen sich acht Milliarden Euro pro Jahr gerechter und effektiver verwenden.
Seit 1958 gibt es das Ehegattensplitting. Gesellschaft, Familien und Rechtsprechung haben sich seitdem stark verändert, die Begünstigungsregelung für Verheiratete nicht. Folge: Das Splitting ist "steuerrechtlich fragwürdig, familienpolitisch ohne Nutzen und mit Blick auf gleichstellungspolitische Belange sogar schädlich", resümiert ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Gutachten der Juristin Ulrike Spangenberg. Denn: Eine Bevorzugung der Ehe kommt längst nicht mehr automatisch auch Kindern zugute. Aufschluss dazu geben Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung:
- Das Entlastungsvolumen von jährlich knapp 21 Milliarden Euro entfällt nur zu knapp zwei Dritteln auf Ehen mit Kindern. Und: 43 Prozent aller Ehen, die vom Ehegattensplitting profitieren, sind kinderlos.
- Unverheiratete Eltern und Alleinerziehende gehen beim Splitting leer aus. Dabei machen diese Familien-Formen mittlerweile ein Viertel aller Eltern-Kind-Gemeinschaften aus. Die maximale Steuerentlastung für Alleinerziehende ist mit rund 1.300 Euro im Jahr um gut 500 Euro niedriger als der durchschnittliche Splitting-Effekt.
Simpler Grund für die Ungleichbehandlung: Die Entlastung innerhalb des Steuersystems orientiert sich gar nicht am Mehraufwand, den Eltern abhängig von Zahl und Alter ihrer Kinder haben. Entscheidend für den Splitting-Vorteil sind neben dem Trauschein die Höhe und die Verteilung des Einkommens. Am stärksten entlastet werden Ehen, in denen lediglich ein Partner einen Spitzenverdienst erzielt.
Arbeiten hingegen Mann und Frau, schneiden sie schlechter ab. Im Durchschnitt erzielen Einverdienst-Ehen einen Vorteil von etwa 2.800 Euro, Zweiverdienst-Ehen hingegen weniger als die Hälfte. Dieser Mechanismus behindert das berufliche Fortkommen von Frauen. Eine zweite Erwerbstätigkeit lohnt sich nämlich nur dann, wenn der Splittingvorteil mindestens "zurückverdient" wird. Das wirkt sich auch regional aus: In den neuen Bundesländern ist der Anteil der Zweiverdienst-Ehen größer. Zugleich gibt es weniger große Einkommen. Entsprechend fließen nur sieben Prozent der Entlastung aus dem Ehegattensplitting in den Osten. 93 Prozent (19,3 Milliarden Euro) gehen in den Westen.
Angesichts solcher Fehlsteuerungen schlägt das Gutachten vor, eine Individualbesteuerung mit einem zweiten übertragbaren Grundfreibetrag einzuführen. Dabei erhält jeder Ehepartner einen Grundfreibetrag, der das Existenzminimum von der Einkommensteuer freistellt. Schöpft ein Partner den persönlichen Freibetrag nicht aus, kann er ihn auf den anderen übertragen. Die Ehe bliebe steuerlich privilegiert, allerdings würde der Vorteil künftig geringer ausfallen. Das gilt vor allem bei Einverdienst-Ehen mit hohem Einkommen.
Dem Staat würde die Umstellung Steuermehreinnahmen von 7,5 bis 8 Milliarden Euro einbringen. Eine Summe, die außerhalb des Steuersystems erheblich effektiver für Kinder und Familien genutzt werden könne, urteilt die Studie. Beispielsweise, wenn das Geld in den Ausbau von Einrichtungen zur Kinderbetreuung fließt. Auch verfassungsrechtlich sei das Alternativmodell legitim, sagt Heide Pfarr, Rechtswissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung: "Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Besteuerung in der Ehe."
Ulrike Spangenberg, Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren. Arbeitspapier 106 der Hans-Böckler-Stiftung, August 2005
Kurzfassung zum Download (pdf)
Langfassung des Gutachtens