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HBS Böckler Impuls

Sparpolitik: Europas Investitionskrise

Ausgabe 09/2014

Europas Staaten investieren kaum noch. Damit vergeben sie die beste Chance, aus der Krise herauszuwachsen.

Der übrige Euroraum hat mit Deutschland gleichgezogen – in einer unrühmlichen Hinsicht: Die durchschnittlichen Nettoinvestitionen der Euro-Staaten sind unter die Null­linie gerutscht. Das geht aus einer aktuellen Berechnung des IMK hervor. Damit sind die anderen Teilnehmer der Währungsunion auf den deutschen Kurs eingeschwenkt, kommentiert Katja Rietzler, IMK-Expertin für Finanzpolitik.

In Deutschland reichen die für Infrastruktur bereitgestellten Mittel schon seit 2003 nicht mehr aus, um wenigstens den Verschleiß an Straßen oder Gebäuden auszugleichen. Technisch formuliert: Die Abschreibungen sind höher als die Bruttoinvestitionen, die Nettoinvestitionen also negativ. Seit 2009 geht es nun auch in der restlichen Währungsunion steil bergab. 2013 war der ganze Euroraum, selbst ohne Deutschland, zum ersten Mal im Minus. Im Vergleich zu 2009 sind die Nettoinvestitionen im Euroraum insgesamt um

73 Milliarden Euro zurückgegangen. Dies sei die direkte Folge der nicht zuletzt von der deutschen Regierung eingeforderten Sparprogramme, erklärt Rietzler.

Dabei beraube sich die Politik des wirkungsvollsten Instruments, Europas Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und die Massenarbeitslosigkeit im Süden zu bekämpfen, sagt die Wissenschaftlerin. Über 100 internationale Untersuchungen hat das IMK kürzlich ausgewertet. Diese ökonomischen Studien zeigten deutlich, wie öffentliche Investitionen das Wachstum anregen: Wenn der Staat einen Euro investiert, steige die Wirtschaftsleistung insgesamt um 1,30 Euro bis 1,80 Euro. Der Effekt von Steuersenkungen ist nach IMK-Expertisen dagegen deutlich geringer.

Als nicht nur nutzlos, sondern nachweislich schädlich betrachtet Rietzler die von der EU verordnete Austeritätspolitik: „Der brachiale Sparkurs in den europäischen Krisenländern ist gescheitert.“ Wenngleich regelmäßig von wachstumsfreundlicher Konsolidierung die Rede sei, fielen die Investitionen der Sparpolitik meist zuerst zum Opfer. Das gelte im übrigen Euroraum wie in Deutschland. Hätte man hierzulande seit 2003 wenigstens den Substanzverlust ausgeglichen, könnte das Bruttoinlandsprodukt heute um 30 bis 50 Milliarden Euro höher liegen.

Entsprechend urteilt das IMK: „Bei einem ganz zentralen Problem des Landes, nämlich dem in über einem Jahrzehnt aufgelaufenen Investitionsstau“, bleibe auch die schwarz-rote Regierungskoalition bislang eine Lösung schuldig. Mit einem klaren Kurswechsel würde Deutschland nach Ansicht der Wirtschaftsexperten aber nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Euro-Ländern einen Dienst erweisen. Und zwar in zweifacher Hinsicht: durch eine Stärkung der europäischen Binnennachfrage sowie als nachahmungswürdiges Vorbild.

  • Die staatlichen Nettoinvestitionen in Europa sind auf deutsches Niveau gesunken - eine Folge der Sparpolitik. Zur Grafik

Katja Rietzler leitet das Referat Steuer- und Finanzpolitik im IMK.

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