Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Europa: Bunter Strauß an Beteiligung
Betriebliche Mitbestimmung ist kein exotisches, überkommenes Phänomen der deutschen Wirtschaft. Der Vergleich mit den europäischen Nachbarn zeigt: Auch in anderen Ländern haben die Beschäftigten Anspruch auf Mitsprache und Information - teilweise sogar noch mehr als hierzulande.
Der Vergleich von Mitbestimmungsmodellen ist allerdings schwer. Das liegt vor allem an kulturellen Unterschieden in den Ländern - und daran, dass die Arbeitsbeziehungen sich historisch völlig unterschiedlich entwickelt haben. In einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung unterscheidet Hellmut Gohde, Berater für Europäische Betriebsräte, zwischen fünf Modellen: So ist in manchen Ländern die Mitbestimmung allein über die Gewerkschaft geregelt; in anderen sind Betriebsrat und Gewerkschaft voneinander getrennt. In zahlreichen Ländern ist die Beteiligung nicht gesetzlich kodifiziert, sondern Ergebnis (tarif-)vertraglicher Regelungen der Sozialpartner.
Der alleinige Blick auf die Gesetze hilft deswegen nicht weiter. Als Beispiel führt Gohde Schweden an: Das Land hat die "geringste Regelungsintensität im Arbeitsrecht bei gleichzeitig weit überdurchschnittlichem Niveau der Beteiligungsmöglichkeiten".
Eine überdurchschnittliche Beteiligung der Beschäftigten gibt es ebenfalls in Österreich, wenn auch auf einem ganz anderen Weg als bei den Skandinaviern: Beschäftigte und Unternehmen sind Zwangsmitglieder in ihren jeweiligen Kammern. Die Arbeitgeberkammern übernehmen in der Regel die Tarifverträge, die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften miteinander geschlossen haben - mit dem Effekt, dass 99 Prozent aller Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst sind.
Das entgegengesetzte Modell findet sich in den mediterranen Ländern: Dort sind die Mitbestimmungsrechte kaum gesetzlich geregelt. Im Gegenzug gibt es in Italien und Frankreich ein umfassendes Streikrecht, das in der Verfassung garantiert ist: Urabstimmungen vor einem Arbeitskampf sind nicht nötig, eine Friedenspflicht besteht nicht, und in Italien sind selbst politisch motivierte Streiks ausdrücklich erlaubt. Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten sind dort eher durch Konflikt im Betrieb als durch Konsens in der Gesellschaft geprägt - mit der Folge, dass deutlich mehr Arbeitstage streikbedingt verloren gehen als in konsens-orientierten Systemen wie Deutschland oder Österreich.
Eine Sonderstellung nehmen die Transformationsländer ein - also jene Länder Ost- und Mitteleuropas, in denen die Marktwirtschaft zumeist noch jung ist. Dort haben die Beschäftigten zwar weniger Rechte als im "alten" Europa - aber beteiligt werden müssen sie auch dort. Beispiel Ungarn: Ab 50 Beschäftigten muss ein Betriebsrat gebildet werden, der - je nach Betriebsgröße - 3 bis 13 Mitglieder hat.
Ansprüche auf zum Teil vollständige Freistellung haben Betriebsräte nur in Deutschland und Österreich. Doch in Frankreich können Freistellungsansprüche für Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Gewerkschaft angesammelt werden; in Italien sind sie sogar auf andere Personen übertragbar. In der Praxis seien sie "meist auf die Vorsitzenden der betrieblichen Gewerkschaftsgruppe konzentriert, so dass einzelne Arbeitnehmervertreter durchaus in den Genuss einer umfassenden Freistellung gelangen können", hat Gohde herausgefunden.
Einen weiteren typisch deutschen Streitpunkt haben die Franzosen elegant gelöst: Arbeitnehmervertretungen jenseits des Rheins stehen mindestens 0,2 Prozent der betrieblichen Bruttolohnsumme als Verwaltungsbudget zu. Dagegen streiten sich Betriebsräte und Arbeitgeber hierzulande immer wieder um Fax, PC und Fortbildung.
Hellmut Gohde: Betriebliche Interessenvertretung in kleinen und mittleren Unternehmen der Länder Frankreich, Italien, Österreich, Schweden und Ungarn, Untersuchung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Juli 2005
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